Ich klage an
ansässige Neuankömmlinge automatisch alle sozialen und politischen Rechte und Pflichten bekommen, die niederländische Bürger bereits haben. Dies ist die wichtigste Voraussetzung, um ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werden zu können. Ansonsten muß der Staat nicht besonders viel tun, auch wenn die Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus wichtig bleibt.
Das Problem dieser Betrachtungsweise ist die Kluft zwischen formalen Rechten einerseits und tatsächlicher Einbürgerung, Partizipation und Emanzipation andererseits. In der Praxis ist die Wahrnehmung bürgerlicher und politischer
Rechte sehr gering; beispielsweise ist die Wahlbeteiligung höchst betrüblich. Durch die geringe Orientierung auf die niederländische Gesellschaft hin ist die Kenntnis der eigenen Rechte auch nicht groß. Paradoxerweise werden ferner in der Praxis formale Rechte für das Gegenteil von Integration genutzt, nämlich, um sich auf der Grundlage des Glaubens (Ethnizität) als Gemeinschaft von der Gesellschaft abzuson-dem. Die größte Tragik zeigt das Beispiel des staatlich geförderten islamischen Unterrichts. Auch die Leichtigkeit, mit der man einen Anspruch auf Sozialleistungen erwirbt, bringt Nachteile mit sich. Zahlreiche Migranten sind dadurch in eine nahezu permanente Abhängigkeit von der Sozialhilfe geraten. Der politisch-juristische Ansatz berücksichtigt auch den Hintergrund der Muslime in den Niederlanden nicht weiter. Er macht seine eigene Geschichte zum Bezugssystem, in der politische und bürgerliche Rechte das Ergebnis eines jahrhundertelangen Wettstreits der verschiedenen (gesellschaftlichen) Gruppen sind. In diesem Ansatz wurde die Gefahr der oben angeführten Nachteile nie gesehen, weil der mentale Abstand zwischen muslimischen Immigranten und der niederländischen Gesellschaft nur unzureichend erkannt wurde.
Zuwanderer aus nichtwestlichen Ländern werden als sozial benachteiligte Bürger definiert. Deshalb müsse der Staat im Bereich Bildung, Arbeit und Einkommen, Gesundheitswesen und Wohnraumbeschaffung gleiche Chancen hersteilen. Die Ursache für die Defizite auf diesen Gebieten wird nicht in den kulturellen oder religiösen Besonderheiten dieser Gruppe gesucht, sondern allein in sozio-ökonomischen Faktoren. :n
Sozio-ökonomische Gesetze sollen für sozial schwache Bürger neue Chancen schaffen.
Ein Vorteil dieser Betrachtungsweise liegt darin, daß er die Ausschlußmechanismen und »blinden« Segregationsprozesse berücksichtigt, etwa die Konzentration in armen Arbeitervierteln und die Bildung von schwarzen Schulen. Aber auch diese Betrachtungsweise stammt aus der niederländischen Sozialgeschichte, vor allem aus dem Kampf zwischen Arbeit und Kapital und der Schaffung eines Sozialstaats nach dem Zweiten Weltkrieg. Auf diese Weise emanzipierte sich die Arbeiterklasse zu einer bürgerlichen Mittelschicht. Die Ursache der Ungleichheit ist für die meisten Muslime in den Niederlanden eine völlig andere als für die hier geborene Unterschicht der Vergangenheit. Deshalb hat diese Sichtweise zwei große Nachteile. In erster Linie führt sie zu einem Opferdenken, wobei alle Probleme in externen Faktoren (beim Staat, bei der niederländischen Gesellschaft) gesucht werden, und zur Bildung einer negativen Gruppenidentität, wobei der Welt außerhalb der eigenen Gruppe mißtraut wird. Dies führt zu gegenseitigen Spannungen und Vorwürfen.
Darüber hinaus mildern die Maßnahmen des Sozialstaats -wie Sozialhilfe und Wohngeld - die Folgen, wenn man gesellschaftlich nicht mithalten kann. Es gibt keine absolute Notwendigkeit, sich der niederländischen Gesellschaft anpassen zu müssen, um überleben zu können. So kann der Modernisierungsprozeß für große Gruppen von Muslimen in der Abhängigkeit von Sozialleistungen steckenbleiben, wo man sich am Rand der Gesellschaft weiterhin an Werte und Normen klammert, die kontraproduktiv für die eigene Emanzipation sind.
Der Multikulturalismus strebt ein friedliches Miteinanderleben von Kulturen auf der Grundlage von Gleichheit und der Wahrung gegenseitiger Achtung in einem staatlichen Rahmen an; doch seine Anhänger verteidigen besondere Privilegien für Minderheiten. Diese Sichtweise wurde ursprünglich entwickelt, um die Rechte von Ureinwohnern in Ländern wie Kanada (Indianern und Inuit) und Australien (Aborigines) zu gewährleisten. In den Niederlanden gibt es immer noch viele, die diese Sicht verteidigen. So lehnt die Rotterdamer Rechtsphilosophin M. Galenkamp
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