Ich klage an
Vorschläge wie die von Premier Balkenende ab, Elemente wie die niederländischen Normen und Werte, die Menschenrechte oder Grundrechte sowie die Trennung von Kirche und Staat als prinzipielle Ausgangsbasis der Integrationspolitik zu sehen. Ihrer Meinung nach ist das unmöglich, weil die Niederlande keine homogene Gesellschaft mehr seien; zudem sei es unerwünscht, da dies zu Polarisierung und zu einer Beeinträchtigung des sozialen Zusammenhalts führe; und unnötig, denn ein besserer Ausgangspunkt sei das Schadensprinzip von John Stuart Mill, dem Philosophen aus dem neunzehnten Jahrhundert, das beinhaltet, daß Menschen bei der Ausübung ihrer Freiheiten anderen keinen Schaden zufügen dürfen. 21
Der Multikulturalismus hat die Politik der niederländischen Regierung am stärksten beeinflußt. Und zwar als Resultat der niederländischen Versäulung, der Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg und auf die koloniale Vergangenheit. Das Mühselige dieser Sichtweise liegt darin, daß sie die schädlichen Folgen kultureller und religiöser Normen bestreitet, die eine Emanzipation der Muslime bremsen. Dies muß nicht verwundern, denn in diesem Gedankengang lassen sich kulturelle Phänomene nicht durch Begriffe wie »besser« oder »schlechter« charakterisieren; sie sind eigentlich unvergleichlich. Die Förderung einer islamischen Säule (im niederländischen Gesellschaftssystem) würde deshalb ungewollt die abhängige Stellung muslimischer Frauen zementieren. Die Subventionierung der Privatschulen macht eigene Schulen und getrennte Internate für Mädchen und Jungen möglich. Dort werden junge Mädchen für ihre zukünftigen Aufgaben als Mutter und Hausfrau sozialisiert.
Van der Zwan konstatierte vor nicht allzu langer Zeit, daß objektive sozio-ökonomische Faktoren eine unzureichende Erklärung für die stagnierende Integration seien. Sozio-kultu-relle Faktoren seien von genauso großer Bedeutung, weil sie in Wechselwirkung mit realen sozio-ökonomischen Rückständen die Probleme der Integration verursachen. Er unterschied zwischen Zuwanderem aus nichtwestlichen Ländern: einerseits gibt es die Surinamer und Antillianer, andererseits die Marokkaner und Türken. Unter Hinweis auf die bereits genannte Studie des Wetenschappelijk Raad voor het Rege-ringsbeleid (WRR) (Wissenschaftlicher Rat für Regierungspolitik)” kommt er zu dem Schluß, daß die beiden erstgenannten Gruppen eine Unterschicht bilden, die sich kaum von jener gebürtiger Niederländer unterscheidet. Bei den Marokkanern und Türken konstatiert er jedoch quantitative und qualitative Unterschiede, die aus ihrer sozio-kulturellen Position herrühren. Nur ein Drittel der marokkanischen und türkischen Bevölkerungsgruppen kann zur integrierten Be-völkerung gerechnet werden. Für zwei Drittel besteht so gut wie keine Aussicht auf Integration.
Die eine Hälfte dieser Gruppe sind über Fünfundvierzig-jährige, von denen die übergroße Mehrheit nicht mehr arbeitet. Die andere Hälfte besteht aus der zweiten und dritten Generation Türken und Marokkaner. Van der Zwan charakterisiert diese Gruppe als ungreifbar: »Die Verankerung in der eigenen ethnischen Gruppe existiert nicht mehr, während es noch keine Integration in die Gesellschaft gibt und die Aussicht darauf als zweifelhaft gelten muß.« Diese empfindliche, entwurzelte Gruppe ist einerseits den Verlockungen der westlichen Gesellschaft (Freiheit, Drogen, Freizeitkultur) ausgesetzt, gleichzeitig fehlen ihr jedoch die Kontrollmechanismen dieser Gesellschaft. Es droht soziale Entgleisung: Zwar können Bildung und Teilhabe am Arbeitsmarkt zu sozialem Aufstieg führen, doch Kriminalität und das Liebäugeln mit fundamentalistischen Gruppierungen bilden konkurrierende Entwicklungspfade.
Es ist erhellend, den Begriff »Integration« als einen Zivilisationsprozeß spezifischer Gruppen von muslimischen Zuwan-derem innerhalb der aufnehmenden westlichen Gesellschaft zu verstehen. Dadurch wird die Scheindebatte über die Gleichwertigkeit der Kulturen überflüssig. Ob der Migrant das eine oder das andere annehmen oder aufgeben muß, wird durch die Anforderungen bestimmt, welche die aufnehmende Gesellschaft stellt, um gut funktionieren zu können. Darüber hinaus kann der Migrant erkennen, daß er sich auf einem bestimmten Entwicklungsniveau befindet und sich weiterentwickeln kann, falls er sich den Werten und Normen des Aufnahmelandes anp? 3 ^· Das * st r eizvo]]er a l s das Gefühl, ihm werde etwas weggei> ommerL
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