Ich klage an
was ich schreibe und sage, hätte ich nicht tun können, wenn ich in diesem Zwiespalt verharrt hätte. Jetzt steht ein großer, leerer Gott zwischen uns; meine Familie will mich nicht mehr sehen. So pervers kann Religion sein: Sie dringt in intime Beziehungen ein und zwingt Eltern dazu, sich zwischen ihren Kindern und ihrem Gott zu entscheiden.
Sie sind immer in meinen Gedanken. Sie fehlen mir. Da ist ein Verlust, ein Kummer. Und dennoch kann ich meiner Schuldgefühle besser Herr werden, seit ich nicht mehr glaube, daß ich meinen Ungehorsam mit einem Platz in der Hölle erkaufe. Der Gedanke, wie unnötig das alles ist, macht mich traurig: Warum akzeptieren sie mich nicht, wie ich bin? Ich will, daß mein Vater dabei ist, wenn ich im Parlament vereidigt werde. Ich will, daß er mich in den Arm nimmt und an sich drückt, wie früher. Es wird nicht geschehen. Ich will meiner Mutter Geld schicken, aber sie wird das Geld nicht bekommen. Ich will wissen, ob es ihr gutgeht, aber ich wage nicht, sie anzurufen. Sie entscheidet sich für Allah, nicht für mich.
Meine Mutter ist streng, eine Frau mit einem starken Willen. Sie versteht es, ihre Umgebung nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen, und wenn es ihr nicht gelingt, dann schlägt sie oder wirft mit Gegenständen. Bei uns zu Hause war alles zerbrochen. Sie war kühl, distanziert, perfektionistisch. Wenn ich in der Schule neun von zehn Fragen richtig beantworten konnte, fragte sie nur, warum ich die eine falsche Antwort gegeben hatte. Ich fürchtete mich vor ihr, aber ich habe sie auch bewundert. Sie war immer für uns da, und dabei hat sie auch noch alles allein machen müssen. Mein Vater war in der Zeit, als er meine Mutter kennenlernte, der wichtigste Mann von Somalia. Es war kurz nach der Unabhängigkeit. Mein Vater war vierundzwanzig Stunden am Tag mit Politik beschäftigt, mit der Gründung eines Parlaments, mit der Alphabetisierung. Als die demokratische Bewegung zum Erliegen gebracht wurde und mein Vater im Gefängnis landete, war sie sehr loyal. Sie besuchte ihn jeden Tag und brachte ihm Essen. Aber in ihren schwachen Momenten, wenn sie ihn gebraucht hätte, ließ er sie im Stich. Immer wieder. Wir mußten ihm in andere Länder folgen, wo sie - die stolze Tochter eines prominenten Richters - die Sprache nicht sprach, wo sie aus dem Haus gehen mußte, obwohl Allah von ihr verlangt, im Haus zu bleiben, um in dürftigem Arabisch Einkäufe zu erledigen. Ich verstehe schon, warum sie so böse geworden ist. Es ist ein unfairer Vergleich, aber ich komme nicht darum herum: Ich vermisse meinen Vater mehr als meine Mutter. Er war lieb, er hat mit uns geschmust, er spielte mit uns. Mein Vater sagte, daß ich schön sei. Und klug. Er lobte mich in den Himmel. Wenn mein Vater zu Hause war, war ich glücklich. Aber er ging immer wieder weg. Ohne sich richtig zu verabschieden. Beim letzten Mal sagte mein Vater: >Ich bin nächstes Wochenende wieder da<, aber er tauchte erst zehn Jahre später wieder auf. Und trotzdem .. .ja, vielleicht ist der verlorene Kontakt zu meinem Vater der höchste Preis, den ich bezahle. Ich will ihn aufsuchen, aber ich weiß, daß er die Tür zuschlagen wird. Ich weiß, daß er lieber in dem Wahn verhaftet bleibt, ich sei geisteskrank, aber ich werde ihn noch einmal aufsuchen, und noch einmal. Wenn ich ihn vermisse. Wenn ich das Bedürfnis verspüre, mit ihm zu reden. Wenn ich möchte, daß er mich noch einmal in den Arm nimmt. Ich bin realistisch genug zu wissen, daß er mir nicht zuhören wird, aber ich bin auch idealistisch genug, weiter zu hoffen, daß er mir eines Tages wieder die Tür öffnen wird.«
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»Irgendein Religionsfanatiker wird mich töten wollen, weil ich Atheistin geworden bin, und weil er glaubt, durch den Mord an mir in den Himmel zu kommen. Aber meiner Meinung nach bin ich vor allem eine Bedrohung für die Muslime, die Angst davor haben, daß ich die Meinung der Niederländer verändern und dafür sorgen könnte, daß die ethnisch motivierten Subventionen abgeschafft oder islamische Schulen geschlossen werden. Man sollte sich nicht täuschen: Ich habe schon viele niederländische Muslime auf meiner Seite, sie zeigen sich nur noch nicht. Aber sobald sie es tun, sobald sich die Dinge verändern und Gesetz werden, wird es keinen Sinn mehr haben, mich zu töten. Für mich ist es einfach eine Frage des Durchhaltens. Wie lange ich wohl noch Personenschutz brauche? Nicht mehr lange. Es geht nicht nur um mich. Der Islam und die Art, wie
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