Ich klage an
untadelig ihre Familie sei. Daß nur der junge Mann hier schuld sei. Daß sexueller Mißbrauch unter Somaliern ohnehin nie vorkomme. Daß das hier ein Fluch sei. Und darüber hinaus bestehe sie darauf, daß noch einmal untersucht wird, ob überhaupt wirklich etwas passiert sei. Die Frau ist völlig durcheinander. Sie frage sich, wie sie das Ganze richtigstellen könne.
Ich erfahre viele Details über die Angelegenheit: wann alles angefangen hat, wie es angefangen hat, wer Anzeige erstattet hat, daß der Mann nicht nur die beiden jungen Frauen mißbraucht, sondern auch seine Ehefrau regelmäßig vergewaltigt und mißhandelt hat.
Etwa eine Woche danach soll meine Cousine Maryan bei mir einziehen. Sie teilt mir die Anschrift von Bekannten mit und bittet mich, sie am Wochenende dort abzuholen. Sie ist gerade zu Besuch bei einer Freundin, die sie seit ihrer Ankunft in den Niederlanden kennt. Sie unterstanden damals beide der Kontrolle der Stiftung De Opbouw und hatten sich angefreundet: junge Frauen, die sich zusammen vergnügten und Schuhe mit ganz hohen Absätzen trugen.
In dem Haus in Utrecht herrscht eine furchtbare Unordnung. Das ganze Haus stinkt nach Urin. Zwei kleine Kinder, etwa ein beziehungsweise zwei Jahre alt, krabbeln in Windeln herum, die lange nicht mehr gewechselt worden sind. Das Wohnzimmer liegt voller schmutziger Windeln. Die Freundin meiner Cousine, bei der wir zu Besuch sind, heißt Anab. Sie bietet uns Tee an. Nachdem sie in die Küche gegangen ist, bleibt sie sehr lange weg.
Während Maryan und ich auf der Couch sitzen und Anab Tee für uns macht (meiner Meinung nach kann sie nicht finden, wonach sie sucht; den Tee haben wir jedenfalls nie zu Gesicht bekommen), sagt Maryan: »Siehst du die Videobänder dort? Alles Porno. Hardcore, Anabs Mann leiht sich Pornofilme aus und zwingt Anab, sich die Bänder anzuschauen und all die perversen Dinge zu tun, die dort gezeigt werden. Sie wird anal vergewaltigt, er macht schreckliche Dinge mit ihr.«
Diese Geschichte hatte ich schon einmal gehört: Die junge Frau ist jene Anab, die ich aus den Akten der Den Haager Polizei kenne. Während ihr Vergewaltiger im Gefängnis sitzt,
hat ihre Familie arrangiert, daß die schwermißhandelte Anab mit einem Cousin verheiratet wird, weil sie keine Jungfrau mehr ist. Der sexuelle Mißbrauch, der »ohnehin in unserer Familie nicht vorkommt«, wurde und wird weiter vertuscht. Die Ehre der Familie ist wiederhergestellt.
Auf eine entsprechende Frage erfahre ich, daß Anab schon achtzehn Jahre alt war, als sie zwangsverheiratet wurde. Ab dem achtzehnten Lebensjahr hat die Stiftung De Opbouw keine Aufsichtspflicht mehr. Ihr Cousin war wahrscheinlich »übriggeblieben«; er hatte auf andere Weise keine Frau finden können. Die Familie sagte zu ihm: »Hier haben wir eine Frau für dich. Die kannst du haben, aber dann mußt du den Mund halten und darfst nichts über die Dinge sagen, die ihr zugestoßen sind.« Nachdem Anab jahrelang von ihrem Halbbruder mißbraucht worden war, wird sie nun von dem Cousin mißbraucht, mit dem sie zwangsverheiratet wurde.
Anab ist schon mehrfach weggelaufen und wurde von der Sozialfürsorge betreut, ist aber jedesmal zurückgekehrt. Einer Nachbarin ist es zu verdanken, daß sie eine Weile in einem Frauenhaus bleiben konnte, auch wenn ihr Mann sie dort einfach wieder abgeholt hat. Said sitzt im Gefängnis, weil er Anab mißbraucht hat, ihr Ehemann dagegen, der sie genauso schlimm mißbraucht, bleibt auf freiem Fuß.
Die Familie der beiden jungen Frauen hat Menschenschmugglern viel Geld bezahlt, um ihren Kindern in den Niederlanden den Schulbesuch zu ermöglichen. Sie hat dies voller Hoffnung und Optimismus getan, und so steht es nun mit den jungen Frauen. Trotz bester Absichten.
Anabs Beispiel zeigt, wie eine Frau im Namen des Jungfräulichkeitskultes geopfert wird, um die Ehre der Familie zu retten. Und nicht nur Anab, auch ihr Mann und ihre Kinder sind Opfer des Jungfräulichkeitsmythos. Ihr Mann macht perverse
Dinge mit ihr, die er rechtfertigt, indem er sich sagt: »Sie war doch schon entjungfert, sie war also schon damals eine Hure.« Und ihre beiden Kinder wachsen buchstäblich auf einem Scherbenhaufen auf. Was soll aus ihnen werden?
Shukri, Anabs jüngere Schwester, ist endgültig verschwunden. Sie ist geflohen und will nichts mehr mit ihrer Familie zu tun haben.
Die brave Hausfrau
Sie ist Mitte dreißig, hat zwei Kinder und ist wieder schwanger. Der Arzt sagt ihr, daß er sie
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