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Ich klage an

Titel: Ich klage an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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eröffnet die Möglichkeit zur gesetzlichen Verankerung der Pflicht, sich einer ärztlichen Maßnahme zu unterziehen, sofern diese zur Verhütung einer Straftat erforderlich ist. Die Notwendigkeit muß in einem solchen Falle natürlich zuerst nachgewiesen werden.
    Ein Bestandteil der Notwendigkeit ist die Verhältnismäßigkeit. Steht das Ausmaß des Eingriffs in einem angemessenen Verhältnis zu dem Umstand, daß eine Straftat verhütet werden kann? Oder mit anderen Worten: Geht diese Maßnahme nicht zu weit?
    Die juristische Diskussion über die Bekämpfung der genitalen Verstümmelung dreht sich um die Antwort auf eben diese Frage. Hier vertritt die VVÜ den Standpunkt, daß es ohne eine solche Pflicht keine effektive Möglichkeit zur Verhütung genitaler Verstümmelung gibt. Die Maßnahme ist in unseren Augen demnach erforderlich. Außerdem hat Artikel 11 des Grundgesetzes auch eine positive Seite (positiv heißt hier die Pflicht zum Eingreifen). Er beauftragt den Staat, Maßnahmen zur Verhütung von Verstößen gegen die Unversehrtheit der Person zu ergreifen.
    Mit Blick auf unseren Vorschlag heißt dies, daß Artikel 11 einen Auftrag für den Staat darstellt, Maßnahmen zur Verhütung genitaler Verstümmelung zu ergreifen. Bezüglich des Verhältnismäßigkeitsprinzips sind wir der Meinung, daß eine Kontrolle, die einmal im Jahr von einer Krankenschwester des Städtischen Gesundheitsdienstes GGD durchgeführt werden würde, das Risiko, daß andernfalls eine schwerwiegende Verstümmelung erfolgt, mehr als aufwiegt. Damit verfügen wir über eine juristische Begründung, welche die wichtigsten Einwände gegen unsere Initiative ausräumt.
    Ein weiterer möglicher juristischer Einwand gegen die Einführung eines derartigen Kontrollverfahrens könnte sein, daß es im Widerspruch zu Artikel 1 des Grundgesetzes steht. Das vorgeschlagene Kontrollverfahren ist nämlich keine generische Maßnahme, die für alle Einwohner gilt, sondern eine spezifische. Eine vorgeschriebene Reihenuntersuchung, der sich vorgeschriebene Kontrollen von Personen aus der Liste der Risikoländer anschließen, stellt eine Form der Diskriminierung dar.
    So wird es auch Juristen geben, die glauben, daß ein Ein-griff in Gestalt einer alljährlichen Kontrolle die betreffenden Eltern stigmatisiere und eine schwere Belastung für das Kind selbst darstelle. In ihren Augen ist die Pflichtkontrolle unverhältnismäßig. Außerdem sind einige Juristen der Meinung, ein hoher Prozentsatz an Verstümmelungen im Herkunftsland sei kein Beweis dafür, daß auch bei Personen aus einem solchen Land, die sich in den Niederlanden aufhalten, mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, daß sie sich Verstümmelungen zuschulden kommen lassen. Gegen diese Einwände bringen wir vor, daß die Folgen einer genitalen Verstümmelung für die Gesundheit des betroffenen Kindes so schwerwiegend sind, daß der Staat den Artikeln 10 und 11 des Grundgesetzes höhere Priorität einräumen muß als Artikel 1 und daß vorbeugende Kontrollen sogar bei einer nicht sehr hohen Wahrscheinlichkeit einer genitalen Verstümmelung verhältnismäßig sind. Bei Mädchen (Kindern), deren Eltern aus den Risikoländern stammen, besteht im übrigen das konkrete Risiko, verstümmelt zu werden, da viele Eltern der Pflege von Traditionen große Bedeutung beimessen.
    Wie wir der Studie der Freien Universität Amsterdam entnehmen können, gibt es genügend Belege dafür, daß junge Mädchen während der Schulferien verstümmelt werden. Aufgrund des verborgenen Charakters des Rituals — Geschlechtsteile sind per definitionem verhüllte Körperteile - kann die Gesellschaft die Straftat zwar mißbilligen, aber auch ganz einfach wegschauen. Angenommen, es handelte sich hierbei um das Abschneiden der Nase oder eines Teils der Ohren dieser Kinder, gäbe es keine solche Duldungspolitik.
    Jede genitale Verstümmelung wird per defmitionem illegal durchgeführt. Alle Eltern in den Niederlanden wissen, daß eine genitale Verstümmelung unter Strafe steht. Deshalb wird sie in den Sommerferien und manchmal in ihrem Her-kunftsland durchgeführt - auf diese Weise können die Eltern davon ausgehen, daß die Wunden des Mädchens verheilt sind, ohne daß das Umfeld etwas merkt. Von geschlossenen Gruppen, in denen die Überzeugung vorherrscht, daß diese Verstümmelung gut für das Kind sei, kann keine Offenheit erwartet werden. Aufgrund dieser Überzeugung erleben die Eltern die Verstümmelung nicht als eine

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