Ich koch dich tot: (K)ein Liebes-Roman
Internet mehrere Richard von Hardenbergs. Einer war ein junger Graffitikünstler, ein anderer Oberförster im Thüringer Wald, der dritte war Rentner und arbeitete ehrenamtlich im städtischen Seniorenbeirat von Winsen an der Luhe. Richard blieb ein Rätsel. Immerhin das schönste Rätsel der Welt.
Nach ein paar weiteren durchwachten Nächten fasste Vivi einen Entschluss. Sie würde aufs Ganze gehen. Nein, sie musste aufs Ganze gehen! Sie wollte endlich wissen, woran sie mit ihm war. Es war halb acht Uhr morgens, als sie ihn anrief und zu einem Candle-Light-Dinner zu sich nach Hause einlud. Noch am selben Abend. Er sagte sofort zu.
Den Vormittag verbrachte Vivi in Feinkostläden, bei einem hervorragenden Metzger, in diversen Boutiquen und in der Wäscheabteilung eines Wiesbadener Damenausstatters. Der Nachmittag war der Vorbereitung des Festmahls gewidmet. Wie sich der Abend gestalten würde? Darüber hatte sie nur vage Vermutungen. Und jede Menge Phantasien, die alles andere als jugendfrei waren.
Hundertmal hatte sie sich gefragt, ob sie zu alt, zu durchschnittlichoder zu unattraktiv für ihn war. Heute würde sie es erfahren. Männer können kein Begehren vortäuschen, sagte Ela immer, Frauen ja. Die stöhnen und kreischen, als ob es einen Orgasmus-Oscar zu gewinnen gäbe. Aber seinen Mann zu stehen, wenn man eine Frau nicht begehrte? Unmöglich.
Vivi hatte ihre raffiniertesten Kochbücher gewälzt und Rezepte ausgewählt, die eine aphrodisische Wirkung versprachen: Austern, Eierspeisen, Artischocken, Rinderfilet, Vanillesoufflé. Nach dem Dessert würde Richard vor Testosteron triefen. Wenn er sich dann immer noch in vornehmer Zurückhaltung übte, konnte sie ihn abhaken. Das Dinner war ein Test. Nicht mehr, nicht weniger.
Als zusätzlichen Brandbeschleuniger hatte sie sich fliederfarbene Spitzenunterwäsche geleistet. Ein Nichts von einem BH und einen Tanga, den man unter dem Mikroskop suchen musste. Ganz sicher war sie sich allerdings nicht. Es bestand akuter Beratungsbedarf – ein klarer Fall für Ela. Zum Glück ging sie gleich ans Telefon.
»Hallo? Gibt es etwas, das ich wissen sollte?«
»Richard kommt heute Abend zum Essen«, erzählte Vivi mit heiserer Stimme. »Ich habe mir neue Dessous gekauft, vorsichtshalber.«
»Er wird sie dir vom Leib reißen«, bemerkte Ela trocken. »Ist das alles? Oder benötigst du eine Anleitung, wie du ihn auf Betriebstemperatur bringst?«
Vivi druckste etwas herum. »Hm, ich weiß nicht, ob die Wäsche vielleicht albern wirkt.«
Oder nuttig oder billig oder schlicht lächerlich, fügte sie in Gedanken hinzu. In der weiblichen Disziplin des Selbstzweifels war Vivi olympiareif.
»Pass auf, du ziehst das Zeugs jetzt an, machst ein Handyfoto und schickst es mir«, schlug Ela vor, wie immer äußerst praktisch veranlagt. »Dann sage ich dir knallhart, was ich davon halte.«
»Mach ich.«
Fünf Minuten später rief Ela an. »Gähn. Also, im neunzehnten Jahrhundert hättest du die Männer damit um den Verstand gebracht.«
Vivis Laune sank unter den Gefrierpunkt. »Ist es so spießig?«
»Quatsch!« Ela lachte los. »War nur ein Scherz. Das ist Verführung pur. Dazu scharfe High Heels, und Richard wird entzückt sein, versprochen!«
»Na ja, die High Heels werden mich vermutlich schon umgebracht haben, bevor ich überhaupt die Haustür erreiche. Trotzdem danke, Ela.«
Seelisch entknittert legte Vivi auf. Dann widmete sie sich den weiteren Essensvorbereitungen. Sie umfassten so komplizierte Tätigkeiten wie Austern öffnen, Zander entgräten und Vanilleschoten auskratzen. Für so etwas brauchten Profiköche ein halbes Dutzend Assistenten. Vivi hatte nur ihre zwei Hände, dafür eine Megadosis Motivation.
»Aber bitte mit Sahne!« , sang sie, während sie die Zanderfüllung anrührte und reichlich Sahne hinzugab. Sie war in ihrem Element. Endlich durfte sie wieder für einen Mann kochen! Und nicht für irgendeinen, nein, für Richard, das Zuckerstückchen.
Natürlich fiel auch eine gute Portion Zanderfüllung für Tiger ab, der ihr nicht von der Seite wich. Mit großen Augen sah er den Vorbereitungen zu. Vivi kraulte sein Fell.
»Und? Was hältst du von Richard?«
Tigers Schnurren war eindeutig: guter Mann.
Um halb sieben ging Vivi unter die Dusche. Um sieben stand sie frisch gefönt vor dem Badezimmerspiegel und knöpfte sich die neue Satinbluse in verruchtem Rot zu, die sie zu einem ziemlich kurzen schwarzen Lederrock trug – ebenfalls eine neue
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