Ich komme um zu schreiben
hatte ihr nicht die Laune vermiesen können. Die Frau schrieb Molly und ihren Kolleginnen regelmäßig und bezeichnete sie in ihren E-Mails abwechselnd als Huren, Schmierfinken und Schande der Nation. Trotzdem kannte sie sich mit den Geschichten verdächtig gut aus. So gut sogar, dass all ihren Opfern sonnenklar war, dass sie jede einzelne Geschichte sorgfältig gelesen hatte. Manchmal schickte Mrs Gibson sogar Statistiken über die im Text verwendeten schmutzigen Ausdrücke mit. Molly lachte leise in sich hinein. Ihr neuestes Werk würde Mrs Gibson eine Menge Arbeit bescheren.
Molly hatte noch nie etwas so Verruchtes geschrieben, und vermutlich war Mrs Gibson nicht die Einzige, der ein ordentlicher Schock bevorstand. Mollys Lektorin würde das Ganze allerdings eher als freudige Überraschung empfinden. Molly selbst stand zwar nicht auf Fesselspielchen, aber der Markt für solche Geschichten war riesig.
Und auch wenn Handschellen nicht so wirklich nach ihrem Geschmack waren: Wenn sie dieses Buch erst mal fertig geschrieben hatte, sah ihre Meinung vielleicht schon ganz anders aus. Dieser Sheriff war einfach zu scharf – fast so scharf wie Ben selbst.
Ben. Wenn er heute Abend nicht in der Bar auftauchte, würde Molly den armen Kerl in Frieden lassen. Das hatte sie sich hoch und heilig geschworen. Wenn er sich aber blickenließ – nun ja … Molly wollte genauso wenig wie Ben, dass sich ihr Leben unnötig verkomplizierte. Aber was war schon kompliziert daran, es miteinander zu treiben?
Sie musste gerade über die eigenen Gedanken kichern, als es um sie herum plötzlich stockdunkel wurde. Sie hatte die Häuser und damit auch die freundlichen Verandalampen hinter sich gelassen und ein kleines Wäldchen betreten, das ihr Wohnviertel von der Main Street trennte. Als es in ihrem Nacken zu prickeln begann, hielt sie alarmiert inne.
Sie hatte keine Angst. Schließlich war sie in Tumble Creek! Aber trotzdem drehte sie sich langsam um und suchte die Schatten nach etwas Ungewöhnlichem ab. Klar, da war nichts. Außer ihrer Großstädterinnen-Hysterie natürlich.
Der Vollmond beleuchtete die Hauptstraße, die nur einen Steinwurf weit entfernt begann, und tauchte den Hinterhof des Futtergeschäfts in milchiges Licht. In der Wohnung über den Geschäftsräumen hatten Ben und Quinn während ihrer Collegezeit die Semesterferien verbracht. Die Miete war extrem billig gewesen, und Sommerjobs hatte es wie Sand am Meer gegeben. Und Molly hing so oft wie irgend möglich in der Wohnung herum.
Irgendwann gehörte sie quasi schon zum Inventar und klopfte nicht mal mehr, wenn sie vorbeischneite.
Oh, was hatte ihr zerbrechliches kleines Teenagerherz geschmerzt in jener Nacht, auch wenn ihr Sexualtrieb bei dem Anblick des nackten und sichtlich erregten Ben eigentlich erst so richtig erwacht war. Dieses Mädchen – eindeutig keine Einheimische – hatte …
Mollys Kopfkino wurde durch einen plötzlichen Filmriss unterbrochen, als sie direkt hinter sich trockenes Laub rascheln hörte. Fast wäre sie gestolpert, als sie einen hastigen Blick über die Schulter warf. Das war nicht der Wind, der mit den Blättern spielte. Ein Zweig knackte, und das Adrenalinstach wie tausend Nadeln in Mollys Adern.
„Wer ist da?“ Keine Antwort.
Sie eilte auf die Lichter am Ende des Wäldchens zu. Das Gefühl, beobachtet und verfolgt zu werden, kannte sie nur zu gut. Aber nur aus Denver, wo Cameron sie auf Schritt und Tritt überwacht hatte und regelmäßig und ganz und gar nicht zufällig an den seltsamsten Orten aufgetaucht war: in dem Restaurant, in dem sie gerade aß, in ihrem Stamm-Starbucks, in ihrem Lieblings-Klamottenladen. Eine Beschwerde bei seinem Vorgesetzten hatte nichts gebracht außer einem Vortrag darüber, dass sie unklare Signale aussenden und den armen Cameron mit ihrem Verhalten verwirren würde.
War er ihr etwa nach Tumble Creek gefolgt? Versuchte er gerade, ihr Angst einzujagen? Wollte er dafür sorgen, dass sie wieder nach Denver flüchtete, wo er sie leichter kontrollieren konnte?
Jetzt waren es nur noch wenige Meter bis zur Main Street und damit zum Licht. Keuchend hastete Molly auf den Bürgersteig und damit aus den Schatten. Erst als sie sicher unter einer Straßenlaterne stand, wagte sie es, einen Blick zurückzuwerfen.
Vor den dunklen Hintergrund des Wäldchens schob sich etwas noch Dunkleres, das aber gleich darauf wieder verschwunden war. Molly war sich trotzdem absolut sicher, dass dieser Schatten sich bewegt hatte,
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