Ich komme, um zu spielen (German Edition)
dabei redlich, nicht zum Haus der Witwe hinüberzusehen. Ja, es war ein Ausrutscher gewesen. Aber noch lange keine Katastrophe. Es bestand ja nicht einmal die Gefahr, dass er die Frau geschwängert haben könnte! Wenn er weitere Besuche bei ihr unterließ und sie den Mund hielt, konnte alles wieder seinen gewohnten Gang nehmen.
Es war vorbei. Und genau das würde er Lily Anders gleich morgen früh mitteilen.
Nach einem kalten Abendessen und einem noch kälteren Bad ging Hale nach oben. Er verbot sich, darüber nachzudenken, was für ein Anblick ihn wohl im Nachbarfenster erwarten würde. Ob sie sich nackt auf ihrem Bett räkelte. Ob sie ihm wieder ihren Körper präsentieren würde. Es spielte keine Rolle. Er würde sie niemals mehr besuchen.
Doch nachdem er sein Schlafzimmer betreten hatte, warf er dennoch sofort einen Blick durch das Fenster – und konnte nichts als tiefstes Dunkel entdecken.
Hale trat näher und spähte durch die Scheibe. Ja, dort war das Fenster, und nun konnte er auch ein paar feine Lichtstreifen erkennen, doch die Vorhänge waren zugezogen. Sie hatte ihn ausgesperrt.
Ausgesperrt.
Für einen kurzen Augenblick empfand er blinde Panik.
Seine Gefühle ergaben natürlich keinerlei Sinn, schließlich hatte er sich ja geschworen, dass ihm Mrs Anders nichts bedeutete. Doch hatte sie denselben Entschluss gefasst? In der vergangenen Nacht hatte sie keine Sekunde gezaudert.
Hatte sie etwa schon alles bekommen, was sie wollte? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Immerhin hatte er ihr absolut nichts von dem zurückgegeben, was sie ihm so bereitwillig geschenkt hatte.
„Verdammt“, murmelte er. Darum ging es also!
Er schluckte schwer und warf dem abweisend wirkenden Vorhang einen missbilligenden Blick zu. Auf den Knien kauernd hatte er sie zurückgelassen, benutzt, beschmutzt und unbefriedigt. Natürlich war sie fertig mit ihm! Vermutlich hasste sie ihn sogar.
Mühsam wandte er sich vom Fenster ab, doch es gelang ihm keine fünf Minuten lang, dem Nachbarhaus den Rücken zuzukehren. Rastlos kehrte er immer wieder ans Fenster zurück, wandte sich ab, kehrte zurück.
Er hatte sich wirklich widerwärtig benommen. Grausam. Und sie war so ein zartes Ding, unabhängig davon, was ihr Ehemann sie gelehrt hatte. Was, wenn sie sich gerade in ihrem Bett zusammenkrümmte und weinte?
Hales geheimen Fantasien hatte immer schon sein Mitgefühl gegenübergestanden, das nicht minder echt und aufrichtig war als seine dunklen Gelüste. Und der Gedanke daran, dass er Mrs Anders tief verletzt haben könnte, brach ihm schier das Herz.
Trotz seines Vorsatzes, ihr aus dem Weg zu gehen, konnte er sie ja wohl kaum weiterhin alleine lassen, nachdem er sie schon den ganzen Tag über ignoriert hatte! Ihm blieb gar keine Wahl: Er musste sie sehen.
Diesmal klopfte er, als er vor ihrer Tür stand. Beinahe hoffte er, dass sie einfach nicht öffnen würde. Eine endlos wirkende Minute verstrich. Hale war dankbar für die tiefe Dunkelheit, die ihn einhüllte. Denn wenn ihn irgendjemand dabei beobachtete, wie er um diese Stunde ihr Haus betrat, würde das die Gerüchteküche nur unnötig anheizen.
Er zählte bis zehn und wollte sich gerade abwenden, als sich die Tür öffnete.
„Sheriff Hale“, hauchte Lily. Ihr weicher Akzent ließ ihn erröten. Oder lag es doch eher an dem vertrauten Anblick ihres hauchdünnen Überwurfs?
„Ma’am“, antwortete er und tippte sich gegen den Hut.
„Möchten Sie hereinkommen?“
„Eigentlich …“ Die Worte blieben ihm im Hals stecken, als sie die Tür weiter öffnete und zu ihm aufsah. Ihr Haar war noch aufgesteckt. Hale wollte sehen, wie es offen über ihren Rücken fiel, und er wusste, dass sie die Nadeln herausnehmen würde, wenn er sie darum bat. Ohne nachzudenken trat er ein. Lily schloss hinter ihm die Tür.
„Ihr Haar“, sagte er, ehe er sich eines Besseren besinnen konnte. „Machen Sie es auf.“
Als sie sofort die Hände hob, um seinem Befehl nachzukommen, begriff er, was ihr Gehorsam für ihn bedeutete: Sie mochte wütend auf ihn sein, aber sie war noch lange nicht fertig mit ihm. Bei Weitem nicht. Er beobachtete, wie sie die erste Nadel aus ihrem Haar zog.
„Warten Sie.“ Sie erstarrte mitten in der Bewegung. „Mrs Anders, es tut mir leid. Ich wollte nicht … ich wollte nur nachfragen, ob es Ihnen gut geht.“
„Ja, allerdings“, erwiderte sie. Für einen kurzen Moment hob sie den Blick und sah ihm fest in die Augen. Ihre Lippen teilten sich. „Sogar
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