Ich krieg dich!: Menschen für sich gewinnen - Ein Ex-Agent verrät die besten Strategien (German Edition)
Verhaftung bedeuten. Oft genügen offene Überwachungsmaßnahmen oder ständige Einladungen zu Verhören. Solche Mittel führen dazu, dass in der Organisation ein »Vakuum« entsteht. Sie wird die Herausnahme ihres Mitarbeiters aus dem operativen Geschäft forcieren. Doch die Geschäfte müssen ja weiterlaufen. Wer soll sie übernehmen? Natürlich ein Nachrücker. Einer, den man schon kennt, der über ein gewisses Grundwissen verfügt und dem man vertraut. Und so kommt »unser« V-Mann letztlich doch an die Stelle, wo wir ihn haben wollen. Die Kunst liegt also darin, einen V-Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort
zu platzieren — und dort selbstverständlich zu schützen. Der V-Mann muss so etabliert werden, dass er nicht als Verräter auffliegt. Er soll sich selbst nicht gefährden und sich zudem nicht strafbarer machen, als er es ohnehin schon getan hat. Dazu wird beispielsweise eine Ausstiegsstory kreiert, um ihn vor Beginn einer Aushebung aus dem Schussfeld zu bringen. Bewährt hat sich für solche Geschichten das private oder berufliche Umfeld, mit dem sich die Tätigkeit in der Schattenwelt angeblich nicht mehr vereinbaren lässt.
Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?
Als Tichow den Terminal betrat, wartete ich bereits auf ihn — im Anzug, mit Aktentasche und BlackBerry in der Hand. Für ihn sah ich aus wie einer der jungen, offensichtlich erfolgreichen Geschäftsmänner, die zu Tausenden die Flughäfen Europas bevölkern. Tichow stellte sich zum Einchecken in die Schlange. Ich trat mit einem schnellen Schritt hinter ihn. Wie ein Katze. Eine Raubkatze. Das erste Mal war ich dem Mann ganz nah, den ich bisher nur aus Akten, V-Mann- und Observationsberichten kannte. Seit Wochen hing sein Bild in meinem Büro an der Wand. Ich hatte eine klare Vorstellung von ihm in meinem Kopf entwickelt. Und nun begegnete ich ihm das erste Mal leibhaftig. Er stand nur vierzig Zentimeter vor mir und war etwas kleiner als ich. Gerade rief eine Frauenstimme laut »Hallo! Hallo!«, und wie viele andere wandte auch Tichow seinen Kopf nach links. Ich starrte auf die kleine Schnittwunde an seiner Wange unterhalb des Nasenflügels. Beim Rasieren ausgerutscht? Dafür erschien mir die Wunde fast zu tief. Doch da geriet sie auch schon wieder aus meinem Blickfeld, und ich schaute auf seinen Hinterkopf mit der dunkelblonden Stoppelfrisur. Ich prägte mir jedes Detail von Tichows
Gestalt und seinen Bewegungen ein. Ich saugte sie förmlich in mich auf. Der leicht wiegende Gang, mit dem er sich dem Counter näherte. In seiner rechten Hand hielt er sein Ticket, und manchmal klappte er es zwischen Daumen und Zeigefinger zusammen. Er benutzte ein mir angenehmes Rasierwasser, das nur als kaum wahrnehmbarer Hauch in der Luft hing. Direkt vor ihm checkten fünf auffallend attraktive Frauen in zehn Parfümwolken ein — eine fröhliche Gruppe, bepackt mit Tüten und Taschen begehrter Designer. Die Ladys wirkten, als hätten sie sich nach einem ausgiebigen Shopping auch noch ein Champagner-Frühstück gegönnt — und sie schenkten mir einen erstklassigen Vorwand. Selbstverständlich wollte ich den Platz neben Tichow, doch nicht absichtlich, sondern zufällig. Ich setzte ein charmantes Lächeln für die KLM-Angestellte mit dem gelben Halstuch hinter dem Check-in-Schalter auf. »Normalerweise würde ich um einen Sitzplatz bei diesen jungen Damen bitten«, begann ich und seufzte dann bedauernd. »Leider muss ich auf dem Flug arbeiten — deshalb wäre es mir lieb, wenn ich einen Platz neben dem Herrn vor mir bekommen könnte.« Ich ließ ihr keine Zeit, nach einem anderen freien Platz zu suchen. »Der sieht aus wie ein Geschäftsmann.« Ich hätte natürlich auch ohne zu schäkern um den Platz neben diesem Geschäftsmann bitten können. Doch vielleicht hatte mich die Champagnerlaune der Clique ein wenig angesteckt. Die Frau am Schalter, deren Augenfarbe wunderbar mit ihrem blauen Kostüm harmonierte, lächelte verständnisvoll und buchte mich auf den Sitz neben Tichow. Etappenziel eins war erreicht.
Als ich kurz darauf am Gate ankam, schien Tichow sich in Luft aufgelöst zu haben. Da entdeckte ich ein Schild mit einem Verweis zur Raucherzone. Auf allen Fotos, die ich von Tichow kannte, rauchte er. Ich beschloss, seine Aufmerksamkeit noch nicht
auf mich zu lenken. Er würde mir ja nicht entkommen. Ich nahm in der Abflughalle Platz und wartete. Als das Boarding begann, erspähte ich Tichow in der Schlange. Ich drehte mein Gesicht zum Fenster und
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