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"Ich laufe, um zu laufen ...": Eine Frauen-Laufen-Anthologie (German Edition)

"Ich laufe, um zu laufen ...": Eine Frauen-Laufen-Anthologie (German Edition)

Titel: "Ich laufe, um zu laufen ...": Eine Frauen-Laufen-Anthologie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mahlstedt
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Augen auch für einige Minuten und nehmen die anderen draußen durch die Zeltwände nur gedämpft wahr. Die beiden fühlen sich für einen Moment geschützt wie Zwillinge im Bauch der Mutter und sammeln neue Energien.
    Marco ist schon lange Steffis bester Freund. Wer die beiden nicht kennt, nimmt sie als Paar wahr, vielleicht sogar als frisch verliebtes. Sie küssen sich zur Begrüßung meistens auf den Mund. Oder sie springt ihn mit Anlauf an und umklammert seine Hüften mit ihren Beinen, wie sie es als Kind oft bei ihrem Vater gemacht hat. Wer beide kennt, denkt sich nichts dabei. Häufig gehen sie Arm in Arm lachend durch die Stadt. Sie spielen mit ihrem Übermut und kaschieren damit tief sitzende Traurigkeiten. Steffi bemüht sich sogar hin und wieder, Marco zu verkuppeln. Er macht mit seinen zweiMetern und knapp 35 Jahren viel her. Blond, sehr schlank, mit schmalen Hüften, breiten Schultern und muskulösen Beinen hinterlässt er Eindruck bei der Frauenwelt. Im Sommer wird er zum Stadtgespräch, wenn er im knappen Höschen und freiem Oberkörper durch die Stadt joggt. Viele halten ihn allerdings für einen selbstverliebten Schönling. Dabei ist ihm nur heiß. Als typischer Sozialpädagoge ist er natürlich auch privat sozial engagiert, wohnt in einer WG und neigt sogar zu Depressionen. Das vermutet niemand. Denn so gewisse Anflüge lässt er gerne hinter verschlossener Tür. Draußen ist er freundlich und aufgeschlossen.
    Am frühen Abend machen Steffi und Marco sich auf den kurzen Weg zum Duschen. Am Eingang der Turnhalle wird auf einem Campingtisch selbstgebackener Kuchen und Kaffee verkauft. Hinter dem Tisch sehen sie direkt in die Halle auf die Nachtlager von Sportlern ohne Zelt. Steffi weiß, dass auch Ingo und seine Frau Renate hier schlafen. Mit Ingo hatte sie vor Jahren ein Verhältnis. Als Renate Ingo und Steffi auf die Spur gekommen ist, musste Ingo es umgehend beenden. Steffi und Marco biegen rechts und links zu ihren jeweiligen Duschräumen ab. Dabei wird Steffi unwohl. Denn hier könnte sie Renate allein begegnen. Sie haben sich noch nie aus der Nähe gesehen, nur drei qualvolle Stunden miteinander telefoniert. Bei ihrem Anruf hat Renate zunächst mit dem Vorschlag gespielt, Steffi müsse ihren Mann nun „nehmen“, da er nicht allein sein könne. Das hat Steffi umgehend als absurd zurückgewiesen. Sie wollte ihn niemals „besitzen“.
    Frisch geduscht, in Vorfreude aufs Tanzen, gönnen Marco und Steffi sich Kaffee, Marmor-, Kirsch- und Käsekuchen im Schatten derTurnhalle auf einer Bank und kommen dabei mit einem Paar aus Leipzig in ein angeregtes Gespräch. Bei Sportveranstaltungen im Osten herrsche durch die Feste am Samstagabend ein ganz anderes Gemeinschaftsgefühl als im Westen. Dort läuft man sonntags und fährt danach sofort nach Hause. Steffi und Marco sind beide „Ossifreunde“. Marco hat in Neubrandenburg und Dresden studiert und dabei viele gute Erfahrungen in den neuen Bundesländern gemacht. Mit ihnen stößt er im Westen ständig auf Vorurteile. Steffi ist direkt an der ehemaligen innerdeutschen Grenze geboren und hat ihre Kindheit dort verbracht. Sie sieht sich Ende der Sechziger Jahre als kleines Mädchen in ihrem von der Oma selbst genähten grauen Mäntelchen an der Grenze stehen in der Hoffnung, irgendetwas auf der anderen Seite zu erspähen. Nie ist eine Bewegung auszumachen. Als ganz junges Kind hat sie sogar gedacht, die Welt ende einige Hundert Meter hinter den Zäunen wie eine Tischplatte. Früh hat sich mit dem Blick ins Geheimnisvolle der Drang ins Unbekannte entwickelt. Ihre Eltern dagegen sprechen noch heute von der „Ostzone“. Später, während ihres Studiums in Berlin, ist sie oft aus Neugierde mit Tagesvisum im anderen Teil der Stadt stromern und Bücher kaufen gegangen. Hinreichende politische Bildung hatte sie nie genossen. Trotzdem verband sie mit dem Osten zu jener Zeit gewisse Utopien für eine bessere Welt mit mehr Gerechtigkeit und Menschlichkeit.
    Es ist noch so warm, dass sich beim Kaffeetrinken wieder Schweißperlen auf Marcos Stirn bilden. Das Hochsommerwetter hält nun schon seit Tagen an. Ein leichteres Lebensgefühl hat sich eingestellt. Endlich auf dem Weg ins Festzelt fummelt Steffi ihren kurzen Lieblingsrock zurecht. Sein Jeansstoff ist dünn, die Nähtedurchgescheuert. Er hängt mittlerweile wie ein Sack an ihr. Aber sie braucht Bewegungsfreiheit beim Tanzen. Sie liebt es zu tanzen. So häufig gibt es für 40-Jährige auch nicht die

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