"Ich laufe, um zu laufen ...": Eine Frauen-Laufen-Anthologie (German Edition)
Maspalomas gefahren. Unschwer sind wir als Deutsche zu erkennen. Wir haben uns mit schwarz-rot-goldenen HADs ausgerüstet und die Wangen mit der deutschen Fahne bemalt. (Außerdem ist es doch gerade Fasching – auch hier in Spanien.) Für die spanische Presse sind wir der gefundene Aufhänger. Die Veranstalter sind bestrebt, das hauptsächlich spanische Starterfeld in den nächsten Jahren noch internationaler zu gestalten. Meine mich begleitenden Männer, Rolf und Andy, sind dem Spanischen ganz gut mächtig. Deswegen überlasse ich ihnen die Kommunikation. Außerdem brauche ich jetzt sowieso langsam noch etwas Zeit, um in mich zu gehen, mir klar zu machen: Ich kann das! Mein Kopf kann das! Ich schaffe das!
Unter großem Spektakel starten wir genau 0.00 Uhr am Strand von Maspalomas und laufen die ersten ca. vier Kilometer durch Sand. Da der Sand nahe dem Wasser am besten laufbar ist, wähle ich genau diesen Weg. Lange musste ich dann allerdings nicht warten, bis mich zum ersten Mal eine Welle erwischte und meine Schuhe pitschnasswaren. Der Pulk aus Stirnlampen zieht sich recht schnell auseinander und trotz Dunkelheit gelingt es uns, beieinander zu bleiben, uns nicht zu verlieren. Nach der Strandpassage laufen wir, noch immer trügerisch flach, durch den, die Stadt durchziehenden, Abwasserkanal. Hier gilt es allerdings schon, sehr aufmerksam von Stein zu Stein zu springen. Misslingt dies, landet man unweigerlich in gelblichbräunlich- eindeutigem Abwasserinhalt. Ein Sturz wäre hier olfaktorisch für den Rest des Rennens bitter! So lange wir noch in zivilisiertem Gebiet laufen, begleiten uns unermüdlich die begeisterten Rufe der Einheimischen: Neben „Allemania, Allemania“ schallt es von überall: „Venga, venga, animo“, was so viel bedeutet wie „Los, auf geht’s, nur Mut.“ „Animo“ kann aus dem Spanischen vielfältig übersetzt werden: Es heißt zugleich Geist, Seele, Herz oder Verstand und umfasst somit den ganzen Menschen. „Animo!” als Ausruf bedeutet aber auch “Auf geht’s” oder “Kopf hoch!”. Und es bedeutet “Elan”, “Spaß an der Sache” oder die “Lebensfreude”. Es stecken Energie und Bewegung in dem Wort.
Nun beginnen wir endlich bergan zu laufen. Es läuft locker. Womit allerdings keiner gerechnet hat –auch nicht der Wetterbericht– es beginnt strömend zu regnen und sollte auch in den Folgestunden nicht aufhören. Wir vermeiden es zu gehen, um wirklich warm zu bleiben. Als wir dann bei ca. 2° C Jacke und Handschuhe anziehen wollen, gelingt uns dies nur, weil wir uns gegenseitig helfen. Zu kalt und unbeweglich sind unsere Hände schon. Die ersten Energiegels und -riegel machen die Runde. Wir zittern beim Öffnen der Nahrung und mahnen uns, schnell weiter zu ziehen. Nach kaltnassen 42 Kilometern erreichen wir die erste der drei Verpflegungsstationen. Gierig schieben wir Energie nach. Ich habe gleichzeitig Salami, Käse,Schokolade und Suppe im Mund. Die Rucksäcke füllen wir auf mit allerlei Essbaren. Weiter geht es durch den Regen. An einen Laufschritt ist häufig nicht mehr zu denken. Die Strecke ist unwegsam, glitschig, steil. Während des ständigen Auf und Ab´s sehne ich mir so langsam Tageslicht herbei. Den Lavendel kann ich schon ganz deutlich riechen – nun möchte ich auch endlich sehen, wo ich laufe. Aufgrund der Nähe zum Äquator bleibt es hier tatsächlich bis morgens sieben Uhr dunkel. Der Sonnenaufgang findet dann ohne große Zeremonie statt. Ich bin glücklich und befreit, nach sieben langen Stunden in absoluter Dunkelheit, die Stirnlampe endlich los zu werden und nun auch die Schönheit der Insel bewundern zu dürfen.
Der Tag bringt uns weiterhin steile Geröllfelder, rutschige Vulkanasche und gigantische Ausblicke. Naturschauspiele, die die Touris am Strand definitiv verpassen. Unsere Stimmung ist optimistisch. Alle Knochen, Muskeln, Bänder und Sehnen sind noch fit. Schmerzfrei ist allerdings keiner mehr! Das wussten wir jedoch vorher und bringt uns nicht aus der Ruhe, in der ja bekanntlich die Kraft liegt. Inzwischen kostet jeder Schritt spürbar Kraft und auch volle Konzentration. Den chronologischen Verlauf der Strecke kann ich nicht mehr wiedergeben, erinnere mich aber deutlich, hinter jeder Biegung wieder und wieder steile Aufstiege oder heftige Abhänge vor mir gehabt zu haben, deren Steigung eine gefühlte dreistellige war! Nicht selten müssen wir Hand- und Armkraft einsetzen. Kletter, nur mit Ketten/Seilen gesichert, fordern robuste
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