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Ich lebe lebe lebe - Roman

Ich lebe lebe lebe - Roman

Titel: Ich lebe lebe lebe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison McGhee
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spült alles weg. Gib ihr einen Haufen Wäsche, und sie legt sie zusammen.
    Gib ihr eine Tochter in einem Krankenhausbett – was macht sie?
    Nichts.
    Das Pompejibuch in meinem Rucksack ist schon zwei Monate überfällig. Stumm lese ich darin, an William T.s Küchentisch. Ich lese über Plinius den Älteren, der Zeuge der Katastrophe von Pompeji wurde. Er hat die dicke schwarze Wolke sich nähern sehen wie eine Flut. Er hörte das Weinen von Frauen und Kindern, die Schreie der Männer.
    William T. steht auf und reckt die Arme über den Kopf, ein sicheres Zeichen für den Aufbruch. Es wird Zeit für mich.
    »Sie sagen, sie will nicht, dass der Stecker gezogen wird«, sage ich.
    »Das stimmt.«
    »Sie lässt sie nicht gehen, aber sie besucht sie auch nicht.«
    »Deine Mutter tut ihr Bestes.«
    »William T.?«
    »Kleine?«
    »Kannst du mich von jetzt an von der Schule abholen?«
    Er sieht mich an. Ich sehe Fragen durch seinen Kopf wirbeln.
    Wieso will die Kleine, dass ich sie abhole? Will sie nicht mehr mit dem Bus fahren? Ist irgendwas vorgefallen im Bus? Sollte ich sie fragen, ob es irgendein Problem gibt? Nein, es gibt so viele Probleme, dass sie eine so dumme Frage gar nicht beantworten könnte.
    Wenn William T. mich fragt, was im Bus war, schaffe ich es dann, den Mund zu halten über Jimmy und Warren und dieGorge? Ich beobachte ihn, beschwöre ihn stumm, einfach Ja zu sagen.
    »Ja«, sagt er.
    »Danke.«
    Er fährt mich wieder den Berg hinunter, dorthin, wo meine Mutter sitzt und mit ihrem Stuhl wippt und über Ivy schweigt.

5
    Frühmorgens stehe ich auf und gehe barfuß in die Küche. Vorsicht mit den alten Holzdielen. Nur leicht auftreten. Splittergefahr.
    Mach Kaffee. Gieß ihn in den Osterglockenbecher, Milch und Zucker dazu, rühr um. Bring ihn nach oben. Reiche ihn Mom. Donnerstags muss sie erst um neun zur Arbeit.
    »Bitte schön, Mom.«
    Dann aus dem Haus. Schule. Um zehn nach acht wird die Nicht-Glocke scheppernd aus den Lautsprechern springen und ihre Befreiung in den Fluren und Foyers der Sterns High finden. Für mich ist das vorbei, keine Nicht-Glocke mehr. Kein Lärm, der mir die Ohren zerreißt. Kein Bus mehr. Keine grünen Kunststoffsitze. Keine Busfahrerin Katie mehr mit ihrem Zurück nach hinten mit dir, verdammt noch mal, setz dich auf deinen Hintern. Kein Jimmy mehr, der mich nicht mehr ansieht, und kein Warren, der es tut.
    Ich gehe zu Fuß.
    Ich richte es so ein, dass ich in der Schule ankomme, wenn die Nicht-Glocke mit ihrem Gekreische fertig ist. Rechtzeitig für Naturkunde, Geschichte, Mathe und für die Blicke, das Schweigen, das Flüstern.
    Bevor ich mich auf den Weg mache, drehe ich mich noch einmal um und sehe hoch zu dem Hügel, auf dem William T.Jones wohnt, in seinem weißen Haus neben der verfallenen Scheune. William T. ist vermutlich im Diner seiner Freundin Crystal, jeden Morgen ist er da. Er trifft sich da mit seinem Freund Burl Evans zum Frühstück. Crystal schenkt beiden Kaffee ein, William T. räumt die Portionspäckchen Marmelade in die Ständer. Ich beame meine Gedanken zu William T. hinüber, der jetzt auf dem hohen Hocker an der Theke von Crystals Diner sitzt. Hi, William T., ich bin unterwegs. Bis heute Nachmittag dann. Verspäte dich nicht.
    Das ist mein Ritual, es soll mir Glück bringen.
    Was, wenn ich ihm erzähle, was ich gestern Abend gemacht habe, als das stehende Wasser in mir immer höher stieg, als es über die Ufer trat und ich zur Schlucht gegangen bin, weil ich nicht anders konnte, Todd war da, und er hat gefragt, ob er mich auch küssen könne, und ich habe gesagt, es sei mir egal, und er hat mich mit beiden Armen hochgehoben und gefragt, ob er den Reißverschluss meiner Jeans aufmachen könne, und ich habe gesagt, es ist mir egal, er hatte auch ein Kondom, und er hat gefragt, und ich habe gesagt, es ist mir egal, und dann ist es wieder passiert, und es hat wieder wehgetan, und unter mir und um mich herum war blanker Fels, und das rauschende Wasser, das ich so gern selbst wäre, rauschte hinter mir, wo ich es nicht sehen konnte, und floss froh und frei über immer weitere Steine. Ich habe die Augen zugemacht, bis es vorbei war, dann lag ich da und sah Ivy vor mir, Ivys Umrisse vor dem Mond, wie sie dastand im glaslosen Fenster des Heuschobers.
    Nein, das kann ich William T. nicht erzählen. Was sollte ich ihm auch sagen?
    William T., ich hab ein Problem.
    Nein.
    Stattdessen gehe ich zu Fuß. Ich laufe, und an den meistenTagen habe ich meinen Rhythmus

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