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Ich lebe lebe lebe - Roman

Ich lebe lebe lebe - Roman

Titel: Ich lebe lebe lebe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison McGhee
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Warren dreht sich wieder nach vorn.
    »Die Tet-Offensive«, sagt Mr. Trehorn, »Mekong. My Lai. Könnt ihr alle mit diesen Begriffen etwas anfangen?«
    Kopfnicken.
    »Und was? Erzählt mal.«
    Einzelne Hände recken sich. Mr. Trehorn steht an der Tafel und rollt seinen Marker zwischen den Handflächen. Jedes Mal, wenn der Stift an den Ehering stößt, gibt es ein klickendes Geräusch.
    »Mein Großvater sagt, wir hätten die Schlacht gewinnen können, aber sie haben uns nicht gelassen.«
    »Mein Onkel aus Cleveland hat den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigert, und er musste für zwei Jahre ins Gefängnis.«
    »Als meine Mutter noch berufstätig war, hat sie am Stützpunkt gearbeitet. Sie sagt, sie erinnert sich noch immer daran, wie die Flugzeuge starteten, manchmal die ganze Nacht lang.«
    Hausaufgabe. Schreibt sie euch ins Heft.
    Was war der entscheidende Grund für die USA , militärisch in Vietnam einzugreifen?
    Inwieweit waren die USA vor dem Vietnamkrieg in Südostasien militärisch engagiert?
    Wieso war die Tet-Offensive so ein Schock?
    Joe Miller hat Ivy irgendwann mal erzählt, dass Chase, Tom Millers Vater, nicht nach Vietnam gewollt hatte. Als er einberufen wurde, wollte er sich nach Kanada absetzen. Aber sein Vater, der alte Spooner, war total für den Krieg. Spooner hatte ja sogar bei der Luftwaffe gearbeitet, am Stützpunkt, und er schämte sich für seinen Sohn. Weil der seine patriotische Pflicht nicht erfüllen wollte.
    Tom Miller neben mir ist still. Kritzelt weiter vor sich hin.
    Eine Viertelstunde.
    Die Nicht-Glocke befreit sich selbst aus dem Lautsprecher.
    Mein Spind ist noch immer kaputt. Ich hab mich auch nicht um ein neues Schloss bemüht. Wozu auch? Irgendwas Wertvolles ist sowieso nicht drin, es sei denn, man zählt zu klein gewordene Turnschuhe und zerknülltes, vollgekritzeltes Papier dazu. Ein Sweatshirt hängt noch drin, aus der Zeit bevor Ivy und ich den Unfall hatten, damals war es noch kalt, damals war Winter. Was noch? Das Buch der Kriege, das mit dem kaputten Rücken.
    Einer nach dem anderen fahren die Busse los, schieben sich mühsam aus der Parkbucht, blauer Qualm aus den Auspuffrohren löst sich vor dem blauen Maihimmel auf. Die Busse entschwinden die Thompson Road hinunter, in Richtung Sterns, oder die Thompson Road hinauf, in die Ausläufer der Berge. Wo ist William T.? Ich habe siebenundzwanzig Viertelstunden durchgestanden und bei jeder die Minuten gezählt. Er hatte doch versprochen, nach siebenundzwanzig Viertelstunden wieder hierzu sein, um mich abzuholen. Ich sitze auf dem Gehweg, über meinen Rucksack gebeugt, der voll ist mit Büchern, die ich nicht lesen will.
    »Rose.«
    Tom Millers Stimme. Ich nicke in meinen Rucksack hinein. Ich bin da, Tom Miller, und ich höre dich , aber allein schon der Gedanke daran, die Augen aufzumachen oder den Kopf zu heben, ist zu anstrengend. Ich hab all diese Viertelstunden durchgestanden, und jetzt bin ich müde. So müde.
    »Wartest du auf William T.?«
    Wieder nicke ich in meinen Rucksack.
    »Bringt er dich zu Ivy?«
    Nicken.
    »Rose. Kannst du mal bitte den Kopf von diesem gottverdammten Rucksack heben und mit mir sprechen?«
    Kopfschütteln.
    Seine Hand in meinem Nacken, warm, fest, schwer.
    »Soll ich dich nach Utica fahren?«
    Kopfschütteln.
    »Du musst nicht bei mir bleiben«, sage ich. »William T. kommt schon noch.«
    »Das weiß ich. Ich biete dir nur an, dich jetzt gleich hinzubringen, mehr nicht.«
    Er streicht mir übers Haar.
    »Ich könnte dich hinbringen«, sagt er. »Ich habe sie ja nicht mehr gesehen seit dem Abend, als es passiert ist.«
    In der Dunkelheit meines Rucksacks kneife ich die Augen noch fester zu.
    »Joe auch nicht«, sage ich.
    Ich wusste nicht, dass ich das sagen würde. Meine Stimme sagt einfach immer wieder irgendwelche Sachen, ganz von allein.Toms Hand streicht mir weiter übers Haar. Die Maisonne ist schon grell. Um mich ist es dunkel, meine Augen sind fest zugekniffen, mein Gesicht ist in meinem Rucksack begraben, meine Arme sperren meine Knie ein.
    »Nicht ein Mal«, sage ich. »Kein einziges Mal ist Joe Miller Ivy besuchen gekommen.«
    »Ich weiß«, sagt Tom. »Ich weiß.«
    »Erst meine Mutter und jetzt Joe«, sage ich. »Was ist verdammt noch mal los mit denen? Ist sie ihnen so egal? Lieben sie sie denn nicht?«
    Noch mehr Sachen, von denen ich vorher nicht wusste, dass ich sie sagen würde. Toms Hand streichelt weiter.
    »Es zerreißt Joe«, sagt er. »Er kann nicht darüber

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