Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich lebe lebe lebe - Roman

Ich lebe lebe lebe - Roman

Titel: Ich lebe lebe lebe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison McGhee
Vom Netzwerk:
Versuche, das Wasser in mir in Bewegung zu bringen, es zu lösen aus seinen stehenden Seen und überlaufenden Meeren. In mir ist nicht genug Platz, um all dieses Wasser, das über die Ufer tritt, zusammenzuhalten. Wird das je anders sein?

7
    Hallo, Juni.
    Adieu, März, da ist es passiert, adieu, April, da hat Ivy geschlafen, adieu, Mai, da hat Ivy geschlafen, hallo, Juni, jetzt schläft Ivy immer noch.
    »›Fahren Sie aufmerksam und vorausschauend‹«, lese ich aus dem Handbuch vor. »›Achten Sie darauf, dass Sie bequem, aber aufrecht sitzen, und halten Sie das Lenkrad mit beiden Händen. Wenn Sie nämlich lässig dasitzen oder nur mit einer Hand steuern, haben Sie das Fahrzeug viel weniger unter Kontrolle. Diese ›entspannte‹ Haltung kann außerdem dazu beitragen, dass Sie eine gefährlich entspannte Einstellung zum Autofahren überhaupt einnehmen.‹«
    Könntest du mal aufhören, aus diesem verdammten Ding vorzulesen?, höre ich Ivy nicht sagen.
    »›Sehen Sie Fehler anderer Verkehrsteilnehmer voraus, überlegen Sie sich, wie Sie im Falle solcher Fehler reagieren. Gehen Sie zum Beispiel nicht grundsätzlich davon aus, dass der Fahrer eines Fahrzeugs, dass sich auf einer Nebenstraße einem Stoppschild oder einem Vorfahrtschild nähert, auch tatsächlich anhalten oder Ihnen die Vorfahrt gewähren wird. Es ist immer besser, davon auszugehen, dass der andere Fahrer möglicherweise nicht anhält. Stellen Sie sich darauf ein, reagieren zu müssen.‹«
    Lass gut sein, Rosie!, höre ich Ivy nicht sagen.
    »Um in dieser Welt zu leben, Ivy«, lese ich angeblich aus dem Buch vor, »müssen Sie Auto fahren können.«
    In dieser Welt – einer Welt der Straßen und Highways und Pkws und Lkws und Stoppschilder und blinkenden roten Lichter und gelben Lichter, die Achtung! bedeuten, und der grünen Lichter, die Fahren bedeuten, einer Welt von Motoren mit Kolbenfresser, von platten Reifen und versagenden Bremsen und Airbags, die nicht aufgehen, und von Tankstellen, der nicht endenden Hässlichkeit der Tankstellen mit ihren Schläuchen und Pumpen und ihrem Benzingestank.
    Man musste nicht immer Auto fahren können, um in dieser Welt zu leben. Es gab einmal eine Zeit, da ritten die Menschen zu Pferde. Es gab einmal eine Zeit, da gingen die Bewohner dieser Welt zu Fuß und trugen ihre Habseligkeiten auf dem Rücken. Es gab einmal eine Zeit, da rannten die Bewohner von Pompeji davon, ihre Kinder im Arm.
    Ich schlage das Handbuch zu. Lasse Ivy schlafen. Schlaf, Schwester, schlaf.
    »Träumst du manchmal, du fällst, Kleine?«, fragt William T. von seinem blauen Stuhl aus. »Kennst du das, diese Träume, in denen man fällt? Herrgott noch mal, wie ich sie hasse, diese Träume.«
    »Gelegentlich«, antworte ich. »Wie kommst du darauf ?«
    »Nur so.«
    Ich drehe mich auf meinem grünen Stuhl um und sehe ihn an, wie er dasitzt, über den kleinen Tisch gebeugt, den Stift fest in der kräftigen Hand, und Sätze in seinem Vogelbuch unterstreicht. Ich schlage das Führerscheinhandbuch wieder auf.
    »›Manchmal ist es besser, Augenkontakt mit anderen Fahrern zu vermeiden, vor allem in möglicherweise konfliktträchtigenSituationen‹«, lese ich William T. weiter vor. »›Der andere Fahrer könnte solchen Augenkontakt als Provokation empfinden.‹«
    »Wohl wahr«, sagt William T. »Davon habe ich auf der Route 12 weiß Gott genug erlebt.«
    »›Bei Konfrontationen mit aggressiven Fahrern bewahren Sie unbedingt die Ruhe. Suchen Sie nach einer Möglichkeit, sich gefahrlos zu entfernen. Lassen Sie die Situation nicht eskalieren.‹«
    »Nichts eskalieren lassen«, kommentiert William T. »Immer schön auf dem Teppich bleiben, wie in diesen Fallträumen. Ausgezeichneter Ratschlag.«
    »›Legen Sie Ihren Stolz auf dem Rücksitz ab. Provozieren Sie aggressive Fahrer nicht, indem Sie beschleunigen oder versuchen, auf gleicher Höhe zu fahren.‹«
    »Schon gar nicht, wenn es ein State Trooper ist«, sagt William T. »Die Staatspolizei versteht in diesen Dingen keinen Spaß.«
    »›Wie vorsichtig Sie auch immer fahren mögen, immer besteht das Risiko, dass Sie einen Verkehrsunfall erleben. So etwas lässt sich nicht vorhersagen.‹«
    William T. schweigt. Er beugt sich über sein Vogelbuch.
    »William T.«, sage ich, »als dein Sohn gestorben ist, was hast du da gemacht?«
    Sein Bleistift schwebt einen Moment lang über der Seite. Sucht. Sucht. Wonach? William T. sieht nicht auf.
    »Ich wollte auch sterben«, sagt er.
    Der Stift

Weitere Kostenlose Bücher