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Ich lebe lebe lebe - Roman

Ich lebe lebe lebe - Roman

Titel: Ich lebe lebe lebe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison McGhee
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hier mit Ivy? In dreißig Jahren – sind wir dann immer noch da?«
    »Ich hoffe es«, sagt William T. »In dreißig Jahren befinde ich mich hoffentlich auf dem Rücksitz eines fahrtüchtigen Wagens, am Steuer meine Kleine, immer auf defensive Fahrweise bedacht, auf dem Beifahrersitz meine Große, und wir werden kopfschüttelnd zurückblicken auf diese Zeit und uns wundern, dass wir all das überlebt haben. Das hoffe ich.«
    Von Zeit zu Zeit, gerade dann, wenn man's am wenigsten erwartet, kommt es vor, dass William T. solche Sachen sagt.
    »Autofahren ist ganz einfach, Kleine«, sagt William T. »Und das mit der Knüppelschaltung auch. Du musst bloß lernen, wie ein Truck zu denken.«
    Wir sitzen in seinem Wagen auf dem Parkplatz des Pflegeheims Rosewood. Wir haben uns von Ivy und Angel verabschiedet, und William T. will, dass ich Fahren übe. Jetzt.
    »Das ist überhaupt nicht möglich, wie ein Truck zu denken«, sage ich. »Trucks denken nämlich nicht. Sie sind auch keine affektiven Wesen.«
    »Affektiv? Was zum Teufel soll das jetzt wieder heißen?«
    »Schlag's nach.«
    »Du bist wirklich mit allen Wassern gewaschen, Kleine.«
    »Nicht, wenn es ums Fahren geht.«
    Wenn Trucks affektive Wesen wären, dann würden sie sich bewegen wollen. Dafür sind Räder schließlich gemacht. Dafür ist ein Gaspedal gemacht, um ein Auto voranzubringen. Dafür sind Fenster da, dass man sie an einem Sommertag öffnen kann, damit der frische Sommerwind wild durch einen dahinbrausenden Truck fahren kann.
    »Denk trotzdem wie ein Truck«, sagt William T. »Denk wie ein Truck, wenn ein Truck denken könnte .«
    »Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst, denken aber tust du nie«, singe ich.
    »Lenk nicht ab. Um in dieser Welt leben zu können, musst du fahren können, Kleine. Komm, lass mich dir zeigen, wie man fährt.«
    »Nein.«
    »Ich kann das nämlich. Ich bin ein verdammt guter Lehrer.«
    »Nein.«
    »Ich hab schon meinem Sohn das Fahren beigebracht«, sagt William T. »Alles nach dem Buch. Hände auf zehn vor zwei, und nie den Sicherheitsgurt vergessen.«
    William T. erwähnt seinen Sohn fast nie. Ich sehe ihn an, aber er erwidert meinen Blick nicht.
    Um in dieser Welt leben zu können, musst du fahren können. Nach dem Abendessen – ich habe Spaghetti gekocht für meine Mutter und mich – spaziere ich ans Ende unserer Einfahrt, wo der Datsun geparkt ist. Das Führerscheinhandbuch liegt aufgeschlagen auf dem Sitz neben mir.
    Was sollten Sie tun, wenn Sie in der Nähe eine Sirene hören, aber nirgends ein Einsatzfahrzeug sehen können? Wie lange vor dem Abbiegen müssen Sie den Blinker setzen? Sollten Sie sich vor dem Rechtsabbiegen möglichst in der Fahrbahnmitte halten? Wenn Sie von einer zweispurigen Straße nach links in eine einspurige abbiegen wollen, wo sollten Sie dann Ihr Fahrzeug positionieren?
    Jedes Mal würge ich den Motor ab. Kann ich ihm einen Vorwurf machen? Das Kreischen und Wimmern des gequälten Metalls ist ja schon für mich selbst kaum zu ertragen. Nur leicht aufs Gaspedal treten und die Kupplung sanft kommen lassen – und zwar beides gleichzeitig.
    William T. hat mir dieses Mantra eingebläut, aber ich krieg's immer noch nicht hin. Jedes Mal, wenn mein rechter Fuß sanft aufs Gaspedal treten will, lässt der linke Fuß viel zu schnell die Kupplung los. Und jedes Mal, wenn das Auto sich dann tatsächlich in Bewegung setzt und ich einen Gang hochschalten müsste, ist meine Hand zu schnell am Schalthebel, noch bevor die Kupplung wirklich durchgetreten ist.
    Nicht gut.
    Alles nicht gut.
    Nach einer Weile macht der Wagen Bocksprünge quer über die Straße und landet im Maisfeld. Verfluchter Mist! Ich sitze im Truck, ein affektives Wesen, ein nicht-affektives hocken ineinem Feld aus jungem Mais, zarten grünen Blättern, die einander im Wind liebkosen. Wenn es beim ersten Mal nicht gleich klappt. Meine rechte Hand umklammert den Knauf des Schalthebels. Wenn jeder Finger ihn so fest wie überhaupt möglich umkrallt, dann geht meine ganze Konzentration da hinein, und dann kann ich dem Drang widerstehen, den Gang einlegen zu wollen, bevor ich die Kupplung ganz losgelassen habe. Das ist mein Plan.
    Richtig?
    Falsch.
    Vor dem Unfall waren die Hände meiner Schwester immer in Bewegung. Es fiel ihr leichter, Worte zu finden, wenn ihre Hände in Bewegung waren. Wenn ein Anruf für sie kam, hielt sie den Hörer beim Reden zunächst ganz normal, wie andere Leute auch. Aber nach einer Weile klemmte sie

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