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Ich lebe lebe lebe - Roman

Ich lebe lebe lebe - Roman

Titel: Ich lebe lebe lebe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison McGhee
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schwebt weiter. Dann sehe ich zu, wie er schnell und sicher einen Satz unterstreicht. Dann noch einen. Und noch einen. Dieser Bleistift ist ein Eisschnellläufer, der für die Olympischen Spiele trainiert.
    »Aber dann habe ich immer weitergelebt«, sagt William T. »Das ist wirklich seltsam, Kleine, wie wir manchmal denken, wirkönnen nicht, und dann können wir es doch. Wir leben einfach immer weiter.«
    Ivy und ich hatten einen Unfall. Es dämmerte schon in den Adirondacks. Ivy ist auf die Bremse getreten, eine Intervallbremsung hat sie gemacht, als der hellblaue Truck auf uns zugerutscht kam. Sie wusste, was sie zu tun hatte, und sie hat es getan. Kurz und schnell hintereinander hat sie gebremst, wie ein Kolben hat sich ihr Fuß in dem schwarzen Winterstiefel bewegt. Der Junge in dem hellblauen Truck trug braune Arbeitsstiefel. Er war aus Remsen. Es war erst das dritte Mal, dass er allein unterwegs war. Das hat seine Mutter mir erzählt.
    »Ich hätte ihn doch niemals fahren lassen, wenn ich gewusst hätte, was passieren würde«, hat sie gesagt.
    Logisch , dachte ich. Merkwürdig, wie manchmal ein Teil deines Hirns sich abspalten kann vom Rest deiner Person, und so etwas denkt wie Logisch .
    »Kleine?«
    »William T.?«
    »Wie kommst du mit dem Autofahren voran?«
    »Gar nicht.«
    »Solltest du aber. Ich hab einen Termin für dich ausgemacht, für die praktische Fahrprüfung.«
    » Was hast du gemacht?«
    »Du hast es gehört.«
    »William T., wie soll ich denn die Prüfung machen, ich kann doch gar nicht fahren!«
    »Dann lern's. Bis zum Termin sind es nur noch drei kurze Wochen. Mach dich dran, Kleine. Schwing dich auf wie der Vogel des Tages, der Schnepfenvogel, der frisch und fröhlich in seichten Gewässern unterwegs ist.«
    Ich verdrehe die Augen.
    »Was ist?«, fragt William T. »Hast du was gegen die Schnepfenvögel?«
    Ich wende mich wieder dem Handbuch zu.
    »›Achtes Kapitel: Defensives Fahren‹«, lese ich Ivy vor.
    »Das ist die wichtigste Regel überhaupt«, stimmt William T. zu. »Immer defensiv fahren. So als wären die anderen Verkehrsteilnehmer alle verrückt. Oder besoffen. Immer mit dem Unwahrscheinlichen rechnen.«
    »Ruhe auf den billigen Plätzen! Ich lese ja nicht dir vor, William T. Kümmer du dich um deine Schnepfenvögel.«
    »Mit den Schnepfenvögeln bin ich durch. Jetzt stehen die Tyrannenvögel an, aufrecht sitzende Fliegenschnapper.«
    »›Fast alle, die hinterm Steuer sitzen, halten sich selbst für gute Autofahrer‹«, lese ich laut vor.
    »Tja, aber bei genauerem Hinsehen zeigt sich schnell, dass die allermeisten ganz beschissen Auto fahren. So ist das, Kleine.«
    »›Um selbst Fehler zu vermeiden oder aufgrund von Fehlern anderer in einen Unfall verwickelt zu werden, sollten Sie lernen, defensiv zu fahren.‹«
    »Hab ich's nicht gesagt? Regel Nummer eins.«
    »Nein, du hast mir das nicht gesagt. Das habe ich aus dem Handbuch. ›Die Regeln für defensives Fahren sind simpel: Fahren Sie aufmerksam und vorausschauend. Halten Sie eine angemessene Geschwindigkeit ein. Setzen Sie den Blinker, bevor Sie abbiegen oder die Spur wechseln. Achten Sie auf genügend großen Abstand. Fahren Sie stets angeschnallt. Setzen Sie sich nie ans Steuer, wenn Sie sehr müde sind, ebenso wenig wie unter dem Einfluss von Medikamenten oder Alkohol. Und schließlich: Sorgen Sie dafür, dass Ihr Fahrzeug stets verkehrstüchtig ist.‹«
    »Ausgezeichneter Ratschlag«, sagt William T. »Sorgen Sie dafür, dass Ihr Fahrzeug stets verkehrstüchtig ist.«
    Ausgezeichneter Ratschlag? William T.s eigener Wagen ist ein Wrack. Die Beifahrertür lässt sich nicht öffnen; die Heizung funktioniert nicht, die Hupe gibt nur ein heiseres Keuchen von sich, und nach dem Tanken steht der Anzeiger auch weiter auf leer. Ich werfe William T. einen Blick zu. Er zuckt nur mit den Schultern.
    »Halt dich an das, was ich sage, Kleine, nicht an das, was ich tu. Wer ist denn schon perfekt, verdammt noch mal? Ich nicht.«
    Ich auch nicht.
    »Zum Teufel mit diesem Handbuch.«
    »Hab ich dich da eben fluchen hören, Kleine?«
    »Nein, das würde ich nie tun.«
    »Wirst du etwa ironisch mir gegenüber?«
    »Nicht doch, William T., niemals wäre ich ironisch dir gegenüber. Genauso wenig wie mokant oder sarkastisch.«
    » Mokant ? Was zum Teufel soll denn mokant heißen?«
    »Ich erklär dir, was mokant heißt, wenn du mir erklärst, was zum Teufel wir hier eigentlich machen, William T. «, sage ich. »Was zum Teufel machen wir

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