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Ich lebe lebe lebe - Roman

Ich lebe lebe lebe - Roman

Titel: Ich lebe lebe lebe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison McGhee
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Joe gesagt. »Sie kann runterfallen und sich ein Bein brechen!«
    »Ivy«, wiederholte Joe Miller, »was würdest du tun, wenn du keine Angst hättest?«
    Da rannte sie los, und Joe sprang auf und schleuderte ihr das Seil zu. Und dann schaukelte sie. Sie musste es nicht tun, doch sie tat es. Wie verschieden Joe Miller und ich waren. Wie verschieden Ivy und ich waren. Wie verschieden, wie verschieden. Wie unfair, wie unfair.
    »Schönen Sommer, Rose. Du hast es geschafft.«
    Tom Miller steht vor mir, nimmt mir die Sonne. Ich mache die Augen auf. Lasse meine Knie los.
    Wenn ich mich jetzt hinstellte und die Arme um ihn legte und ihn küsste – würde er mich zurückküssen? Würde er am Fluss auf mich warten, sich an mich drängen? Ist Tom Miller wie Jimmy und Warren und Todd? Seine Augen werden schmal. Er sieht mich merkwürdig an.
    »Was ist los mit dir?«, fragt er.
    »Wie meinst du das?«
    Ich höre meine Stimme, sie hört sich jetzt so an, wie sie sich am Fluss anhört, wenn ich mit den Jungen da bin. Worte kommen heraus, die ich nicht geplant hatte.
    »Red nicht so mit mir.«
    »Wie – so?«
    »So eben.«
    Ich gucke ihn groß an. So stehen wir da. Die Nicht-Glocke kreischt aus den Lautsprechern.
    »KLAPPE!«, kreische ich zurück.
    »Die Glocke?«, fragt Tom. »Oder ich?«
    Der Klang der Nicht-Glocke wütet in mir. Werde ich sie für den Rest meines Lebens hören?
    »Die Glocke, du Idiot!«
    »Jetzt bin ich auf einmal ein Idiot?«
    »Ja, bist du.«
    »Meinetwegen. Aber du hast immer noch nicht meine Frage beantwortet. Was ist los mit dir? Und mit Jimmy Wilson und Warren Graves?«
    Ich schüttle den Kopf. Still, Tom Miller. Leise. Nicht weiter. Er steht vor mir, nimmt mir die Sonne. Gelbe Busse nähern sich der Einfahrt vor der Schule, dicht an dicht rollen sie auf knirschendem Kies heran an diesem letzten Tag des Schuljahrs. Ihre letzte Fahrt bis zum Herbst. Einer nach dem anderen schiebt sich rumpelnd an den Straßenrand, bevor die Motoren mit einem langen, bebenden Seufzer ersterben.
    »Willst du irgendwem irgendwas beweisen?«
    Ich schüttle den Kopf.
    »Warum dann?«
    Kopfschütteln. Immer noch steht er vor mir. Heute Nachmittag standen Warren und Todd dicht beieinander an Todds Spind. Die Linie ihrer Schultern, die leisen Stimmen – irgendwas war mit ihnen. Tom kam gerade vorbei und blieb stehen. Drehte den Kopf leicht in die Richtung der beiden. Dann sah er herüber zu mir und meinem kaputten Zahlenschloss, meinem Spind, meinen Händen, die die Bücher umklammerten.
    Hinter mir gehen die Türen auf. Füße stampfen vorbei. Geschnatterund Rufe und Kreischen ziehen zum hohen blauen Himmel hinauf, unsichtbare Klangspiralen verlieren sich hinter den grünen Wipfeln der Bäume. Immer noch steht Tom da. Stimmen rufen nach ihm.
    »Hey, Tom.«
    »Millerrrrrrr.«
    »Miller!«
    Er sagt nichts. Er hockt sich zu mir auf den Boden.
    »Hast du vor, noch mit mir zu reden?«
    Kopfschütteln. Nein. Ich werde nicht mit dir reden, Tom Miller.
    »Kommt William T. gleich?«
    »Nein.«
    »Wieso nicht?«
    »Tierarzt. Wegen seiner Vögel.«
    »Soll ich dich dann fahren?«
    Kopfschütteln.
    »Also, dann solltest du mal in deinen Bus steigen, schweigende Rose. Du willst ihn doch wohl nicht verpassen.«
    Die Stimmen, die Rufe, das Geplapper sind jetzt leiser geworden, abgetrennt durch die geschlossenen Scheiben der Busse, geschlossene Fenster, die aber jetzt geöffnet werden, eins nach dem anderen, und jedes Mal gibt es ein Quietschen. Ich nicke. Ja, ich sollte mal einsteigen. Ein letztes Mal. Letzte Busfahrt für dieses Schuljahr.
    Dieses Mal ist es nicht Warren oder Todd oder Jimmy – nicht Jimmy, der mich immer noch nicht ansieht, der starr geradeaus guckt, wenn ich in der Schule an ihm vorbeikomme. Dieses Mal ist es Kevin. Kevin setzt sich neben mich. Kevin legt einen Arm um mich.
    »Na, wie sieht's aus, Rose?«, fragt Kevin.
    Ringsum allgemeine Starre. Keiner sagt was. Kein Johlen. Keingrölendes Gelächter. Ich starre aus dem Fenster auf die Maisfelder. Wie grün die jungen Pflanzen sind, so grün sind sie nur im Frühsommer. Arme kleine Maisstängel, strecken sich nach dem Himmel.
    »Sag mal«, fragt Kevin, »gehst du heute zum Fluss, Steine hüpfen lassen?«
    Schweigen.
    »Heute Abend vielleicht?«
    Schweigen.
    »Ich könnte auch hinkommen«, flüstert Kevin.
    »Nein.«
    »Nein? Wieso nicht?«
    » Nein .«
    »Wieso ich nicht? Was haben die anderen, was ich nicht habe?«
    » Nein .«
    »Komm schon, Rose. Das wird

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