Ich lebe lieber hier und jetzt
ergänzte er.
Wie bitte?
Blair fuhr herum und knallte
ihnen die Tür ins Gesicht. Diesmal schloss sie sorgfältig ab. Dann klappte sie
den Toilettendeckel herunter und setzte sich. Auf dem Boden lag eine
zerfledderte Ausgabe von »Jane Eyre«. Sie griff danach. Blair hatte den Roman
zweimal gelesen. Einmal mit elf für sich und dann das zweite Mal in der Neunten
als Schullektüre. Als sie jetzt die ersten paar Seiten überflog, sah sie
plötzlich die Parallelen - wie Jane wurde auch sie von ihrer Familie, die ihre
hohe Intelligenz und Empfindsamkeit nicht zu würdigen wusste, abgeschoben und
schlecht behandelt. Gäbe es nur einen Fluchtweg aus diesem Bad, eine geheime
Falltür zur Straße, sie würde sofort mit dem Taxi zum Flughafen fahren, eine
Maschine nach England besteigen - oder gleich nach Australien -, ihren Namen
ändern, sich Arbeit als Kellnerin oder Gouvernante suchen, sich wie Jane in
ihren Arbeitgeber verlieben, ihn heiraten und fortan glücklich und zufrieden
leben.
Aber zuallererst musste sie
sich den schweißigen Schwangere-Frauen-Fußgeruch abwaschen, der sich in ihren
Poren festgesetzt zu haben schien. Ohne groß nachzudenken, was sie überhaupt
tat, klappte Blair das Buch zu, stand auf und ließ Wasser in die Badewanne
laufen. Sie gab eine Kappe Gurken-Waschlotion von Kiehl's dazu, zog sich aus
und legte sich in die Wanne. Ahh. Sie schloss die Augen und stellte sich vor,
in dem muschelrosa-matrosenblau karierten Burberry- Bikini, den sie sich
letztes Wochenende beinahe gekauft hätte, an einem australischen Strand zu
liegen und ihrem umwerfend aussehenden Mann beim Surfen im Pazifik zuzusehen.
Anschließend würden sie auf ihrer Jacht dem Sonnenuntergang entgegensegeln, Champagner
trinken, Austern schlürfen und dann auf Deck miteinander schlafen, und seine
grünen Augen würden im Mondlicht glitzern. Grüne Augen...
Blair setzte sich mit einem
Ruck auf. Nate! Sie musste ja gar nicht weglaufen, nicht solange sie ihren Nate
hatte. Das Handy steckte in der hinteren Tasche ihrer Jeans, die zerkrumpelt
auf dem Badezimmerboden neben der Wanne lag. Sie angelte danach und rief bei
Nate an.
»Was gibt's?« Er hörte sich
ziemlich stoned an.
»Liebst du mich trotzdem, auch
wenn ich nicht in Yale studiere?«, hauchte Blair und ließ sich wieder in den
Schaum zurücksinken.
»Klar.«
»Findest du mich fett und
teigig?«, fragte sie und streckte erst einen und dann den anderen nackten Fuß
aus dem Wasser. Ihre Nägel waren bordeauxrot lackiert.
»Blair!«, schimpfte Nate. »Du
bist alles andere als fett.«
Blair schloss lächelnd die
Augen. Sie und Nate hatten diese Unterhaltung schon tausendmal geführt, aber
trotzdem hatte sie sich danach jedes Mal bedeutend besser gefühlt.
»Hey, liegst du etwa in der Badewanne,
oder was?«
»Mhm-mhm.« Blair schlug die
Augen auf und griff nach der Flasche mit der Waschlotion. »Es wäre so schön,
wenn du auch hier wärst.«
»Ich könnte rüberkommen«,
schlug Nate hoffnungsvoll vor.
Wenn sie doch nur zu Hause in
ihrer eigenen Badewanne liegen würde.
»Schatz?«, hallte Eleanor
Waldorfs Stimme durch die Tür. »Alles in Ordnung da drinnen?«
»Jaja, mir geht's gut!«,
brüllte Blair.
Ich liege bloß
bei der Leiterin deines Geburtsvorberetungskurses in der Wanne und hab
Telefonsex mit meinem Freund.
»Denk dran, dass hier eine
ganze Menge schwangerer Frauen mit starkem Harndrang sind, ja?«
Als ob sie das hätte vergessen
können.
»Verdammt, ich muss Schluss
machen«, sagte Nate plötzlich. »Hier rufen gerade die ganzen Trainer von den
Uni-Lacrosse-Mannschaften an. Die wollen dieses Wochenende herkommen, um mich
spielen zu sehen.«
Merkt ihr, wie sorgfältig er es
vermieden hat, die Namen der Unis zu erwähnen?
»Ich flieg morgen früh nach
Washington, aber ich ruf dich dann von dort aus an, okay?« Blair legte auf,
stemmte sich platschend aus dem Wasser und hüllte sich in eines der flauschigen
weißen Badetücher aus dem Regal neben der Wanne. Nachdem sie sich wieder
angezogen hatte, fuhr sie sich mit den Fingern durchs feuchte Haar, betrachtete
sich im Spiegel und fand, dass sie schon wieder viel lebendiger aussah.
Außerdem roch sie frisch und gurkensauber. Ob es nun das Bad gewesen war oder
das Gespräch mit Nate, jedenfalls fühlte sie sich wie ein neuer Mensch.
Draußen standen die Schwangeren
in Grüppchen herum und knabberten Ziegenkäse-Oliven-Minipizzas von Eli's
Restaurant. Blair drückte sich ungeduldig in der Nähe der Haustür
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