Ich lebe lieber hier und jetzt
Jacke aus und leg
dich hin«, rief ihr ein gedrungener Mann mit blondem Ziegenbärtchen zu, der
sie durch den Sucher einer überdimensionierten Polaroidkamera betrachtete.
Mit klopfendem Herzen stellte
Jenny ihre Schultasche ab, zog ihre Wolljacke aus und legte sie zusammengefaltet
auf die Tasche. Sie ließ sich am äußersten Rand der
Chaiselongue nieder und schämte
sich. Ihre Knie sahen in dem unbarmherzig gleißenden Licht ganz bleich und
verknubbelt aus. »Hinlegen?«
»Auf den Rücken«, befahl der
Fotograf und kniete sich in etwa einem Meter Entfernung vor ihr hin.
Auf den Rücken legen? Das ging
auf keinen Fall, nicht in dem nur mäßig stützenden Baumwoll-BH, für den sie
sich heute entschieden hatte. Da konnte es nämlich gut passieren, dass ihr ihre
schweren Brüste wie Fleischfladen nach rechts und links in die Achselhöhlen
hingen, und dann würde sie total deformiert aussehen.
Sie rutschte auf dem Polster
ein Stück zurück und stützte sich nach hinten auf die Ellbogen. Diese Position
kam dem Liegen ihrer Meinung nach noch am nächsten.
Allerdings wölbten sich ihre
Brüste dadurch noch weiter vor als ohnehin schon.
»Okay, auch gut«, murmelte der
Fotograf. Er klatschte die fertigen Polaroids auf den Boden und kroch auf Jenny
zu, um weitere Fotos zu machen.
Jenny presste die Schenkel
zusammen, damit er ihren Slip nicht sah. »Was soll ich denn für ein Gesicht machen?«,
erkundigte sie sich schüchtern.
»Spielt keine Rolle«, brummte
der Typ und knipste weiter. »Achte einfach darauf, dass deine Schultern nicht
hängen, und heb das Kinn.«
Jenny spürte, wie ihre Arme vor
Anstrengung zu zittern begannen, aber das war ihr egal. Anscheinend fand der
Fotograf sie gut. Er behandelte sie wie ein richtiges Model.
»Alles klar. Das reicht«,
entschied er schließlich und stand auf. »Wie heißt du überhaupt?«
»Jennifer«, antwortete Jenny.
»Jennifer Humphrey.«
Der Mann nickte seiner
Assistentin mit der Baskenmütze zu, die sich etwas auf ihrem Klemmbrett
notierte.
»Kann ich die Bilder sehen?«
Jenny zeigte auf die Polaroids, die auf dem Holzboden lagen. Sie waren mit
einer hauchdünnen schwarzen Folie bedeckt, die erst abgezogen werden musste,
wenn man die Bilder anschauen wollte.
»Sorry, Kleine. Die gehören
mir.« Der Fotograf grinste. »Ich möchte, dass du nächsten Sonntag hier auf der
Matte stehst. Zehn Uhr. Alles klar?«
Jenny nickte eifrig und
schlüpfte in ihre Wolljacke. Sie war sich nicht ganz sicher, aber es hörte sich
fast so an, als sei sie gerade für ein Shooting engagiert worden!
Oder zumindest ein Teil von ihr.
»Worum ging es bei dem Go-See
jetzt eigentlich?«, erkundigte sich Serena bei Jenny, als sich die Diskussionsgruppe
etwas später in der Mittagspause in der Cafeteria traf. »Tut mir Leid, dass
ich dir nicht mehr dazu sagen konnte. Meine Modelfreundinnen sind alle immer
ziemlich verpeilt.«
Jennys Hand flog zum Mund. »Ich
hab ganz vergessen, danach zu fragen. Aber es war total toll. Alle waren supernett,
als wäre ich ein richtiges Model und so.«
»Ich hab dir ja schon gesagt,
jeder kann Model werden. Aber du solltest dich trotzdem informieren, worum es
bei dem Shooting geht«, riet Serena ihr. »Ich hab eine Bekannte, die dachte,
sie würde Werbung für Kaugummis machen, und dann ging es um Maxibinden.
Wahrscheinlich hat sie Alwaijs mit Airwaves verwechselt.«
Jenny dachte angestrengt nach.
Maxibinden? Nein, von Maxibinden hatte niemand etwas gesagt.
»Und lass dich nicht überreden,
irgendwelche Sachen anzuziehen, in denen du dich nicht wohl fühlst. Klar, das
Foto für die Les-Best-Anzeige ist gut geworden, aber... hallo? Ein Sommerkleid
mitten im Februar? Ich hatte drei Wochen lang eine tierische Erkältung«,
erzählte Serena.
Die übrigen Neuntklässlerinnen,
die an der Diskussionsgruppe teilnahmen, kicherten höflich. Sie konnten sich
an Geschichten über Serenas aufregendes Modelleben kaum satt hören, platzten
aber gleichzeitig vor Neid auf Jenny und wollten ihr nicht auch noch den
Gefallen tun, beeindruckt zu sein. Wie kam es überhaupt, dass ausgerechnet die
Kleinste aus ihrem Jahrgang mit langweiligen braunen Locken und lachhaft
großen Brüsten jetzt plötzlich Model war? Das konnte doch gar nicht sein!
»Wetten, es sind Fotos für
einen Übergröße-BH-Kata- log, und sie ist bloß zu dämlich, es zu schnallen«,
flüsterte Vicky Reinerson ihren Freundinnen Mary Goldberg und Cassie Inwirth
zu.
»Es ist bestimmt für irgendwas
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