Ich lege Rosen auf mein Grab
irgendwann am frühen Nachmittag, wie eine Smogwolke hing es schon am Horizont, mußte es Gewitter geben. Es ging nun quer über die weitgestreckten Wümmewiesen, an Ebbensiek und Hexenberg vorbei, zum Gasthaus Meyerdierks, wo sie dann einkehrten, Fischerhude war zu weit für heute, es war ja nicht die letzte Tour für sie.
«Iß nicht zuviel… Bei der Hitze, da…»
Doch den anvisierten Ratsherren-Topf ließ er sich so schnell nicht ausreden. «Nach zweieinhalb Jahren Einheitskost im Knast, da darf ich das.»
Sie hatten einen freien Tisch im Garten gefunden, saßen unter einer uralten mächtigen Eiche, tranken Beck’s-Export und sprachen nicht viel.
MUGALLE verspürte ein feines, aber dennoch sehr störendes Gefühl einer gewissen Enttäuschung. Tagelang, nächtelang hatte er von dieser Szene geträumt. Nun war alles so gekommen wie erhofft, war seine Sehnsucht Wirklichkeit geworden, und er war nicht im allergeringsten euphorisch, sondern eher müde, schlaff und unlustig, wäre am liebsten aufgesprungen und in den kleinen Wald hinterm Garten gelaufen, hätte sich versteckt. Er hatte Angst vor Eva, Angst vor sich, Angst aber vor allem… Ja, wovor? Das alles in der nächsten Sekunde zerplatzen konnte wie die berühmte Seifenblase, im nächsten Atemzuge wieder aus sein konnte. Wenn die Lufthansa-Boeing, die gerade ihre Warteschleife flog, nun auf sie niederstürzte und verbrennen ließ? Wenn das Essen, das schon kam, vergiftet war? Wenn er in der nächsten Minute mit einem Herzinfarkt zusammenbrach, den Strapazen seines ersten Freiheitstages lange nicht gewachsen war? Wenn, wenn, wenn…! In seiner Zelle war alles so sicher und berechenbar gewesen. Auch in der Schneiderei, wo er jetzt gesessen hätte, bemüht, sein Pensum an Knöpfen auch heute zu schaffen.
«Du denkst zurück…?» fragte Eva.
«Es wird lange dauern, bis ich…»
«Morgen früh kommst du gleich mit ins Geschäft und fängst da an… Sieh dir alles an, mach dich mit allem vertraut.»
«Danke, ja…» MUGALLE zerfaserte einen herabgefallenen Zweig.
Das Essen kam, und es schmeckte schon, doch bei weitem nicht so, wie er angenommen hatte.
«Ich dachte immer, die Eremiten sind große Asketen, verzichten auf alles… Denkst du! Die größten Genießer sind das, Hedonisten hoch zwei. Nur wer darbt und sich dabei die Genüsse dieser Welt phantasievoll ausmalen kann, der allein ist in der Lage, Lust zu optimieren. Die Vorstellung von der Wirklichkeit ist es, nicht die Wirklichkeit selber, was einem die höchsten Genüsse verschafft.»
Eva nickte. «Und? Was willst du da für Schlüsse draus ziehen?»
MUGALLE sah sie an. «Daß so ein Knastaufenthalt auch seine guten Seiten hat.»
«Aber nur für den, der hinterher ganz weit oben weitermachen kann.» Sie legte ihr Besteck beiseite, mochte von ihrem Hühnerfrikassee, bleich und labbrig schien ihr das Fleisch, nichts mehr wissen, begann zu rauchen. «Du meinst, es wäre besser gewesen, ich hätte dich heut morgen nicht… Du wärst allein mit dir selber…?»
«Ich meine gar nichts! Das Gewitter macht mich nervös.»
«Zahlen wir und fahren nach Bremen zurück!» Sie winkte den Ober herbei. «Es ist dir doch nicht peinlich, wenn ich jetzt…?»
«Nein, ich danke für diese milde Gabe!»
«Laß uns zu Hause über alles reden…»
Die beiden so bedeutungsschweren Worte «zu Hause» ließen ihn zusammenzucken, und während sie nun «nach Hause» fuhren, wurde seine Stimmung immer depressiver, quälte ihn die Ambivalenz dieses Gedankens. Dieses Zuhause war ganz sicher eine Festung. Sicher war er da, geborgen, konnte in Ausfällen und Feldzügen Land erobern, Beute machen. Doch andererseits war er auch Gefangener da, angebunden, festgewachsen, unfrei eben.
Einerseits, andererseits… Es machte ihn krank.
Blitz und Donner jagten sie der Autobahn entgegen, die hier wie eine mittelalterliche Mauer verschiedene Bremer Vorstädte umschloß, doch alle Eile nutzte nichts, der Gewitterregen schlug schon auf sie ein, bevor sie in der Unterführung Schutz finden konnten.
Frierend und fluchend standen sie da, wagten sich nicht mehr ins Freie hinaus, denn ringsum fuhren immer wieder Blitze in Dächer und Bäume.
Als sie dann bei Eva angekommen waren, gab es nur eins: alle Sachen vom Körper heruntergerissen, kurz abfrottiert und dann ins Bett gekrochen.
Sie lag mit dem Rücken in der Höhlung seines Körpers, wie ein Fötus zusammengerollt und genoß es, so umfangen zu werden, schnurrte
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