Ich lieb dich, ich lieb dich nicht (German Edition)
übernachten?«, frage ich Ingo, als wir meine Wohnung erreichen. Irgendwie hätte ich ihn jetzt gern bei mir, würde ihn in den Arm nehmen wollen. Als könnte ich damit etwas wieder gut machen.
»Nein, lieber nicht. Ich muss morgen früh zur nullten Stunde in die Schule. Außerdem will ich in Ruhe darüber nachdenken, was in den letzten Tagen und heute Abend so passiert ist.«
»Hm.« Ich merke, wie die Enttäuschung in mir aufsteigt. Gern hätte ich noch einmal dicht an ihn gekuschelt die Nacht mit ihm verbracht. So wie gestern. »Okay. Dann können wir morgen ja telefonieren.«
»Das machen wir. Schlaf schön!« Er gibt mir einen flüchtigen Kuss auf den Mund, dann marschiert er zu seinem Auto, das er bei mir um die Ecke geparkt hat. Ich sehe ihm noch einen Moment lang nach. Wirklich schade, dass er
nicht geblieben ist.
Oben in meiner Wohnung suche ich noch einmal das Kästchen mit den Souvenirs heraus und nehme die Muschel in die Hand. Ich versuche, mich daran zu erinnern, wie das damals war am Strand. Wie hat es sich angefühlt, Ingo zu küssen? Ich weiß es einfach nicht mehr, es ist zu lange her. Seitdem sind zu viele Dinge in meinem Leben passiert, zu viele Verletzungen, zu viele Typen, die mir das Herz gebrochen haben. Der Tag am Strand ist bis zur Unkenntlichkeit verblasst, alles, was ich noch weiß, ist, wie sehr ich die Ferientage in Hohwacht geliebt habe.
Ich denke nach, wann ich das letzte Mal da war. Ist bestimmt schon zehn Jahre her. Meine Eltern und Ilse fahren noch regelmäßig hin, aber ich selbst habe meinen Schlüssel zu dem Haus, der bei mir im Flur hängt, schon ewig nicht mehr benutzt. Keine Zeit, keine Lust, kein was auch immer, irgendwie ist es schon lange nicht mehr dazu gekommen.
Dabei ist es sehr schön da oben an der Ostsee. Der Strand, das Meer, die Reetdachkaten, die Fischbuden… Plötzlich habe ich eine Idee: Vielleicht sollten Ingo und ich einfach mal ein Wochenende dort hinfahren. Dorthin, wo unsere Kindheitserinnerungen liegen, dorthin, wo unser erster Kuss passiert ist? Wer weiß? Wir haben zwar unser ausgedachtes Kennenlernen im Reisebüro, aber Hohwacht ist schließlich eine echte, eine wahre Erinnerung. Vielleicht würden das ja irgendwelche Emotionen bei mir auslösen. Und möglicherweise auch bei ihm. Oder ist das eine schwachsinnige Idee?
Ich rufe Tante Ilse an. Ist zwar schon kurz vor elf, aber ich will jetzt sofort wissen, was sie dazu meint.
»Klingt gut«, meint sie. »Vielen Paaren hilft es, sich an frühere Zeiten zu erinnern und Schauplätze der Vergangenheit aufzusuchen.«
»Na ja, wir waren damals Kinder«, meine ich. »Aber trotzdem ist es vielleicht einen Versuch wert.«
Ich bin ganz aufgeregt. Und auch ein bisschen stolz auf mich, dass ich auf so eine Idee gekommen bin. Damit kann ich mit Ingos Reisebürovorschlag fast gleichziehen. Soll noch mal einer sagen, ich würde diese Therapie nicht ernst nehmen, ich gebe hier mein Bestes! Ich rufe Ingo an und erzähle ihm von meinem Plan.
»In Ordnung«, willigt er ein. »Ich hätte sowieso Lust, am Wochenende mal rauszukommen.«
»Dann fahren wir Samstagmorgen los? Ich muss nur Luzie bitten, den Laden allein zu führen.«
»Samstagmorgen um neun Uhr geht’s los.«
»Bis spätestens dann!«
Ich lege auf. Und freue mich. Und bin ein kleines bisschen aufgeregt. Sollte es am Ende tatsächlich möglich sein, dass Ingo und ich uns ineinander verlieben? Ich denke an unseren ersten Kuss. An die kribbelnde Situation im Reisebüro. Und an meinen Traum von letzter Nacht. Nichts ist unmöglich.
8. Kapitel
Das Haus ist nicht mehr ganz so romantisch, wie ich es in Erinnerung hatte. Und auch nicht mehr ganz so groß. Auch nicht mehr so gut in Schuss. Das Reetdach ist schon ziemlich heruntergekommen, der weiße Außenputz bröckelt, die grünen Fensterläden könnten dringend einen Anstrich vertragen. Na ja. Aber das Meer kann man von hier aus immer noch sehen, da hat mich meine Erinnerung nicht getäuscht.
Und als Ingo und ich unsere Sachen und die Lebensmittel fürs Wochenende ins Haus tragen, schlägt mir sofort wieder dieser vertraute Geruch entgegen: eine Mischung aus Holz, Meersalz und Jasmin, denn meine Mutter hat ein ziemliches Faible für Duftsäckchen, die sie überall im Haus verteilt hat.
»Da wären wir«, stellt Ingo fest, nachdem wir die Lebensmittel eingeräumt und unser Gepäck im Flur abgestellt haben. »Bleibt nur noch die Gretchenfrage.«
»Welche Gretchenfrage?«
»Richten wir
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