Ich liebe dich, aber nicht heute: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Kapuze noch ein Gesicht, oder grinste da schon ein Totenkopf? Wieder tauchten sie ab, wieder spülte eine Wasserfontäne über sie hinweg, und dann rief Niklas: »Der Motor ist abgesoffen.« Das war die nächste Hiobsbotschaft. Ohne Motor konnten sie nun überhaupt nicht mehr manövrieren. Über ihnen tanzte der hohe Mast hin und her, schlug in jede Richtung, das Schiff schien sich um die eigene Achse zu drehen, zum Bergauf und Bergab kam nun auch noch haltloses Rotieren. Liane spürte, wie ihr die Bewegung auf den Magen schlug. Gleich würde sie brechen müssen, Bier, Wein, Sekt, alles drängte nach oben.
»Sie ist unsinkbar!«, schrie Niklas gegen das Getöse an.
»Aber kentern kann sie!«, schrie Liane zurück. Schluss jetzt mit dem Männergehabe, dachte sie, lange genug Helden gespielt.
Mit dem Ausbruch ging es ihr wieder besser. Sie konnte die Übelkeit zurückdrängen. Du musst einen Punkt fixieren, sagte sie sich, das hilft. Es gab aber nirgendwo einen festen Punkt. Um sie herum nur Regen und nebelartige Dunkelheit.
»Sagt dir dein GPS , wo die Fähren sind?«, schrie sie aus einer plötzlichen Eingebung heraus. Was, wenn sie denen in die Quere kamen? Die hatten bei so einem Sturm genug mit sich selbst zu tun, und ein kreuzendes Segelboot verursachte bei einer Autofähre sicherlich nicht mal einen kleinen Kratzer.
Niklas winkte ab.
Aber so weit konnten sie nicht abgetrieben sein. Bloß, wer konnte das wissen? War einem liebestollen Mann zu trauen?
Sie fror. Sie kauerte mit dem Rücken an der Bootswand, aber jetzt zitterte sie am ganzen Körper. Sie war nass, und sie fror, und schon wieder kam der nächste kalte Wasserschwall über sie.
»Ich will Karibik!«, schrie Liane.
Und zu ihrem Erstaunen nahmen die Männer das auf.
»Ich will Karibik!«, tönte es mehrstimmig zurück.
Okay, da hatten sie mitten auf dem Bodensee eine Parole kreiert.
»Ich will Karibik!«, schrie sie wieder, während das Schiff erneut nach vorn abtauchte. Bitte lass aus dem Nebel keinen riesigen Schiffsrumpf auftauchen, dachte sie dabei, das wäre der absolute Albtraum!
»Ich will Karibik!«, kam es wieder mehrstimmig zurück. Selbst Niklas machte mit.
Gut, dachte sie. Auch die Gospels sind auf dem Höhepunkt der Angst und Machtlosigkeit entstanden. Der nächste Wasserschwall brachte sie wieder zum Husten, gerade als sie zu einer neuen Durchhalteparole ansetzen wollte, und sie schloss den Mund. Wie viele Meter haben wir wohl unter uns, dachte sie. Neunzig Meter? Zweihundertfünfzig Meter? Egal. Zum Ertrinken reichte es allemal.
Wieder schoss das Schiff hoch. Ächzte es bereits? Würde es auseinanderbrechen? War es Zeit für ein letztes Gebet? Was betet man in einer solchen Situation? Lieber Gott, hilf, flüsterte sie. Ich zünde auch nach der Rettung sofort eine Kerze in der nächsten Kirche an.
Das reicht nicht, überlegte Liane, während der nächste Wasserschwall über sie hereinbrach. Wenn es so weitergeht, brauchen wir noch nicht mal zu sinken, dann ertrinken wir einfach im Boot, dachte sie, während sie sich das Wasser aus der Lunge hustete. Oder halt einfach den Mund, dann geht es auch!
Und eigentlich hatte sie mit dieser Strafe Gottes ja gar nichts zu tun. Niklas war der Fremdgänger.
Sie schaute zu ihm hinüber. Er hielt noch immer tapfer das Steuerrad fest, obwohl diese Heldentat keine Wirkung zeigte. Mussten sie nun alle für seine Cindy-Aktion büßen? Alle für einen? Das wollen wir doch mal sehen! Liane richtete sich auf. »Admiral von Schneider« , schrie sie, »reiß dich zusammen!«
Niklas zuckte und sah auf.
»Wir machen hier keine Sammelbuße!«, schrie Liane. »Jeder büßt für sich!«
Hans-Ueli fasste ihr Knie fester. »Hast du was zu büßen?«, schrie er.
»Ich? Nee!« Wieder kam ein Schwall Wasser längsschiffs.
»Du?«
»Glaub nicht!«
Bei Dario schlug der Wasserschwall zusammen, und er hustete, während er sich das Wasser aus dem Gesicht wischte. »Ich hab schon was zu büßen!«, rief er. »Aber ich zahle Kirchensteuer. Absolution! Ich kann also nicht gemeint sein!«
Leandro winkte ebenfalls ab. »Ich bin Buddhist!«
»Und? Gibt es da keine Buße?«, wollte Dario wissen.
»Die gibt es nur auf Schweizer Autobahnen!« Hans-Ueli schüttelte den Kopf, aber das steile Aufbäumen des Schiffes brachte sie alle wieder zum Schweigen.
Und wenn nun doch was passiert, fragte sich Liane. Sie wollte den Gedanken nicht zu Ende denken. Sie erinnerte sich an ihr Urvertrauen. Alles würde schon gut
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