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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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Gymnasium gehen. Das bestätigte nicht nur Frau Kaarmann, das spürte auch ich. Weil mein Kind wieder schlief, seit die Stunden dort begonnen hatten und seine Angst vor der neuen Situation der Erkenntnis gewichen war, dass er ihr intellektuell gewachsen ist. Nach seinem ersten Besuch auf dem Gymnasium, fast fünf Wochen nach Schulbeginn, war er nach Hause gekommen und hatte förmlich von innen geleuchtet. Ich brauchte die Tipptafel gar nicht herauszuholen, um zu erfahren, dass es gutgegangen und dass mein Kind glücklich war.
    Â»Er will dorthin«, sagt Frau Kaarmann. »Er ist so motiviert, und das ist unsere Chance.«
    Er gehörte auch durchaus dorthin. Eine Schulaufgabe hatte er schon »mitgeschrieben«, nur vier Stunden nach seinem Debüt. Ich setze das Wort mitschreiben in Anführungszeichen, weil er für die Bearbeitung in die Bibliothek gegangen war – Frau Kaarmann hatte nicht riskieren wollen, dass er unter der ungewohnten Anspannung ausflippte und damit die anderen Kinder störte. In der Bibliothek hatte er dann, wie gewohnt gestützt, seine Antworten eingetippt. Einen Teil des Stoffes hatte er nicht mitbekommen, weil er zu dieser Zeit noch nicht Teil der Klasse gewesen war, entsprechend hatte er Lücken lassen müssen. Dennoch hatte es für ein »ausreichend« gereicht, was sein Lehrer, wie er unter die Arbeit schrieb, »recht erfreulich« fand angesichts der Umstände. Schließlich hatte Simon keine reguläre Grundschule besucht; seine Mathekenntnisse beschränkten sich auf das, was seine Schulbegleiterin ihm, unterstützt von Computerprogrammen, angeboten hatte, Simons speziellen Interessen folgend, und waren sehr punktuell.
    Von dem Erfolg ermutigt, beantragte ich, dass er auch in Ethik sowie in Natur und Technik am Gymnasium zugelassen würde, den Fächern, die seinen bisherigen Mathestunden zeitlich nahelagen, so dass sich kompakte Anwesenheitszeiten ergaben. Noch besuchte Simon ja die alte Schule mit, er pendelte zwischen den Stunden, was nicht wenig Unruhe verursachte und ein gutes Zeitmanagement erforderte. Das Okay für Ethik kam nach kurzer Zeit. Seine Schulbegleiterin erhielt die Erlaubnis, einen der alten kleinen Busse des Förderzentrums für die Fahrten zu nutzen. Die Dinger hatten aber ihre Tücken, der Rückwärtsgang etwa ließ sich nur mit Glück einlegen, so dass jede Fahrt einem Abenteuerausflug glich, den die beiden nun an vier von fünf Wochentagen unternahmen.
    Sicher war nichts, denn überall konnten sich Hürden auftun: Lehrer, die weniger verständnisvoll waren als der Mathelehrer, der ein hörbehindertes Kind hat. Anfälle von Simon, die es unmöglich machten, ihn den anderen zuzumuten, ausgelöst durch den Stress der neuen Situation oder auch nur durch ein verweigertes Stück »turtle tart«. Unsere schöne Normalität kann ja so schnell in Orgien aus Panik und Aggression umkippen. Nie gibt es Gewissheit.
    Die erste Klippe schob sich bald in den Blick. Das erwählte Gymnasium war nämlich eine Seminarschule. In Simons Klasse sollte Mathe nun für einige Wochen am Freitag von einem Referendar gegeben werden. Am ersten dieser Freitage begann Simon bereits im Auto rumzuschreien und tippte auf Nachfrage, er habe »Angst« vor dem neuen Lehrer. Das Klassenzimmer betrat er erst gar nicht; sie kehrten unverrichteter Dinge wieder um, was zum Glück offenbar nicht groß auffiel. Nun hing es davon ab, ob Simon diese Angst am nächsten Freitag oder übernächsten Freitag überwinden konnte. Am Förderzentrum hätte er ein halbes Jahr Zeit dafür gehabt bzw. so lange, wie es eben dauert. An einem Gymnasium war das nicht so.
    Der Beratungslehrer bereitete mich vorsichtig darauf vor, dass Reaktionen anderer Eltern kommen könnten, die sich Sorgen machten, dass ihr Kind in einer Klasse mit so einem Problemfall vielleicht nicht die nötige Aufmerksamkeit erhielte oder dass man mit dem Stoff nicht durchkomme. Er meinte, es gäbe prinzipiell die Möglichkeit, auch den Eltern von Mitschülern eine Autismus-Aufklärung angedeihen zu lassen, um falsche Vorstellungen von vorneherein abzufangen. Er wollte dem Gymnasium entsprechende Angebote machen. »Aber vielleicht«, meinte er, »passiert ja auch gar nichts.« Eine Weile sah es so aus, als hätte ich für dieses Buch eine Erfolgsgeschichte erzählen können.
    Was dann passierte, wenige

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