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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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Wochen später, war, dass Simon zunehmend auf seine Schulbegleiterin losging, eine zierliche Frau, die mit den Attacken nur gerade noch zurechtkam und langsam begann zusammenzuzucken, wenn er sich ihr nur näherte. Dann griff er seinen Lehrer an, dann die Therapeutin. Als Nächstes schlug er auf das Kind ein, das neben ihm im Bus saß. Dessen Eltern gingen auf die Barrikaden. Endlich tippte Simon, er wolle nicht mehr ins Gymnasium, er sei wütend auf seine Begleiterin, weil sie ihn nicht vor der neuen Schule schütze. Wir brachen das Experiment Gymnasium mit den Weihnachtsferien ab, zum Bedauern des dortigen Lehrers und des Direktors, die das Projekt als gelungen empfunden hatten, zur Erleichterung von Frau Kaarmann, die dem zunehmenden Stress, Simons Verhalten dort unter einer Auffälligkeitsschwelle zu halten, schier nicht mehr gewachsen gewesen war. »Alles geht dort so schnell«, sagte sie. »Es klingelt zum Stundenende, dann wird noch schnell die Hausaufgabe an die Tafel geschrieben, schon strömt die nächste Klasse herein. Simon und ich, wir sind da noch beschäftigt, das Mäppchen zu schließen und unseren Kram einzuräumen. Er muss das ja selber machen, es nützt ja nichts, wenn ich alles schnell, schnell für ihn erledige. Um uns herum sitzen sie dann schon und schauen uns erstaunt an.«
    Es ging nicht.
    Â»Dabei«, tippte Simon, »will ich doch nur ein rotes, ruhiges Schülerleben.«
    Â»Interessant«, sagten alle. »Hat Rot eine besondere Bedeutung für ihn?« »Nicht dass ich wüsste«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Kann sein, Rot ist ein Symbol, kann genauso gut sein, er hat nur versucht, ›ruhig‹ zu tippen und ist nach dem ›r‹ falsch abgebogen, so dass erst mal rot dastand, ehe er es im zweiten Anlauf dann doch schaffte.«
    Ich weiß immer weniger.
    Der Januar verlief ruhig, Simon schien froh, den Stress los zu sein, anstandslos besuchte er seine alte Schule. Im Februar häuften sich dann wieder die Warnhinweise, er schrie, schlug, langweilte sich sichtlich im Unterricht und erinnerte uns daran, dass er wohl nicht bleiben kann, wo er jetzt ist. Sein Psychiater war dennoch beim jahresanfänglichen Besichtigungstermin sehr zufrieden mit Simon. Es war einer der wenigen positiven Momente in den letzten Wochen: Simon wurde sehr gelobt und strahlte, die Mutter strahlte mit, für einen Moment waren alle glücklich, das Kind nahm die Hände seines Arztes und sagte: »Du liebst uns, gell?« Der Arzt musste lachen. So viel positive Energie.
    Dr. Wilkes empfahl uns eine bestimmte Schule, ganz in der Nähe, mit Nachmittagstagesstätte, »prosozialer Atmosphäre«, viel Kompetenz, das Zentrum für Erziehungshilfe, früher sagte man wohl für »schwer Erziehbare«. Es sei weit besser als sein Ruf. Eine Perspektive tat sich auf, so einfach und klar und vielversprechend. Mit einem Mal schien mir alles ganz leicht zu sein.
    Ich, auf Flügeln angesichts der neuen Perspektive, ging sofort zu der empfohlenen Schule und klopfte beim Rektor an. Ich landete hart: Der Direktor war zwar freundlich und entgegenkommend, nahm sich Zeit für mich, die ohne Termin bei ihm hereingeschneit war. Aber die Botschaft war unmissverständlich. Er wollte wissen, was der Arzt gesagt habe, wie er darauf käme, dass dies der geeignete Ort für meinen Sohn sei. So einen schweren Fall hätten sie noch nie gehabt. Mir müsse klar sein, dass ihre Klientel gewalttätig sei und wenig sozial eingestellt. In der Tagesstätte käme es unweigerlich zu Zeiten, in denen mein Kind in diesem Milieu unbeaufsichtigt sei. Er hätte große Bedenken, dass es Simon bei ihnen gut ginge.
    Mit dieser Botschaft ging ich nach Hause, Szenen vor Augen, in denen mein Sohn zusammengeschlagen oder auf der Toilette vergewaltigt wurde. Kaum hatte ich die Tür aufgesperrt, kam der Anruf aus der Schule: Simon habe einen schweren Ausraster gehabt, mit dem Kopf gegen die Scheiben geschlagen, nur mühsam habe man ihn beruhigen können. Ich solle doch bitte aufhören, in der Schulangelegenheit für Unruhe zu sorgen, alles seinen Ämtergang gehen lassen und vor allem: vor dem Kind kein Wort mehr.
    Ich war ratlos: Wenn ich nichts tat, geschah auch nichts, das war meine Erfahrung. Wenn ich etwas tat, irrte ich offenbar sinnlos in der Gegend herum und sorgte für Chaos, wurde als ahnungsloser Laie von einer Ecke in die

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