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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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nicht still, obwohl Sie hier herumhocken und stören. Was also wollen Sie hier noch? Ich schwitzte vor Angst und suchte zugleich mein Kind zu beruhigen, hastete hinter Vorgaben her, die wir nicht erfüllen konnten.
    Die Lösung der Lehrerin war, ihn im Nebenzimmer einzusperren. »Der darf erst wieder raus, wenn er still ist.« Natürlich war er das nicht, er kam beinahe um vor Panik, lief herum, zerbrach und zerbröselte vor Nervosität alles, was ihm in die Finger kam, und hielt sich an seinem Geschlechtsteil fest, dem letzten Halt, den er noch besaß – was ihn in den Augen seiner Lehrkraft quasi zum Sexualverbrecher machte. Hinter der verschlossenen Tür bettelte er: »Vater! Mutter! Bruder! Hilfe!«
    Ich lehnte außen an der Tür, hatte meine Hände dagegen gedrückt und fühlte seine Todesangst mit. Ich wollte ja versuchen, der Lehrerin zu glauben, irgendjemandem zu glauben. Aber es tat nur weh, die Tränen liefen mir über das Gesicht. Ich weiß, ich hätte ihn befreien und mitnehmen müssen, sofort. Ich schäme mich bis heute, dass ich es nicht getan habe. Doch ich war nur noch verwirrt und ratlos. Außerdem wäre ich dann zu Hause mit Simon alleine gewesen. Ohne jeden Halt und Rat. Dazu hätte ich in diesem Moment die Kraft nicht gehabt.
    Die Lehrerin betrachtete verächtlich mein verheultes Gesicht. Sie spulte das bekannte Repertoire ab: »Den müssen wir jetzt brechen. Der muss das ein für alle Mal kapieren.« Mehr fiel ihr dazu nicht ein. Und gleich noch für mich die Ohrfeige hinterher: »Da hätten Sie schon viel früher durchgreifen müssen.«
    Ich dachte mit Schaudern an Simons bisherige Erfahrungen mit Eingesperrtsein. Er hatte die Angewohnheit, abends lange nicht einzuschlafen. Er verlangte Gesellschaft, am besten einen Körper, an den er sich klammern und unter dessen sicheres Gewicht er seine Hände und Füße klemmen konnte. So lag ich da, Seite an Seite im Dunkeln, und es konnte eine Stunde vergehen, zwei, auch mehr, in der ich darauf wartete, dass das Kind endlich einschlief. Anfangs hoffte ich noch, den Acht-Uhr-Film schauen zu können, eine Illusion, die schnell verflog. Dann dachte ich an den Spätfilm, an wenigstens ein Stündchen, ehe ich ins Bett fiel, da Simon ja ab spätestens eins wieder wach war, um ins Ehebett zu schlüpfen, wo er sich wälzte und mehrfach erwachte, um ab sechs Uhr endgültig dem Schlaf Lebewohl zu sagen. Aber die Zeit verging. Ich lag da, das Leben zog an mir vorbei, und ich glaubte, wahnsinnig zu werden. Gegen zehn dann, oder viel später, wenn auch vom Spätfilm nur mehr das Finale übrig war, taumelte ich aus der Dunkelheit, mit abgesacktem Kreislauf, zu müde für irgendetwas anderes als Schlaf.
    Wir hatten mehrfach versucht, uns dagegen aufzulehnen. Ein Versuch war der meines damaligen Mannes, Simon zum Alleineinschlafen zu zwingen, indem er ihn in seinem Zimmer einsperrte. Ich ging nach unten, aber natürlich hörte ich trotzdem alles – den brüllenden Vater: »Du gehst jetzt in dein Bett. Diese Tür geht erst wieder auf, wenn du liegst.« Und das brüllende Kind, das alles versprach, nichts hielt und sich langsam von Wut zu nackter Angst vorarbeitete. Ich konnte es am Klang seiner Schreie erkennen. Warum konnte sein Vater das nicht?
    Ich weiß, ich hätte mich heraushalten sollen. Aber das schaffte ich nicht. Ich hielt es für falsch. Es tat mir weh. So unterband ich schließlich das Ganze. Dem Verhältnis zu meinem Mann tat das nicht gut. Unserem Schlaf auch nicht. Dennoch bin ich noch immer der Überzeugung, dass mit dieser Sorte Zwang bei Simon nichts zu erreichen ist. Der dumpfe Trieb seiner Angst ist in solchen Fällen stärker als unser pädagogischer Wille. Er wird immer kämpfen mit allem, was er hat.
    So oder so: Simon war vorgeschädigt, was das Eingesperrtsein anging; es war Gift für ihn. Aber das konnte ich hier niemandem klarmachen. Die Lehrerin hielt seine Nervosität für Aggression, seine Angst für Unverschämtheit. Als er flehte: »Aber ich bin doch so ein schönes Kind«, da hielt sie ihn für einen ganz schlimmen Manipulator. Es war ihr regelrecht ein Beweis für seine Hinterhältigkeit. Dabei wusste Simon nicht mal genau, was er da sagte. Es war nur ein Werkzeugsatz. Er wiederholte einfach, was er von mir einmal gehört hatte, in einem für ihn angenehmen Kontext,

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