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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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geeignet gewesen wäre.
    Als Simon die Frühförderung besuchte, waren im Betreuungspaket auch ein paar Therapiestunden für die Eltern inbegriffen, für Gespräche und Spiele, die uns weiterhelfen sollten. Das Gegenteil war der Fall. Wir erlebten im Grunde schwarze Stunden für unsere Beziehung. Wenn wir erst einmal anfingen, den Blick aufeinander zu richten, dann kam uns das nackte Grausen.
    Es begann mit dem ersten Gespräch mit der hauseigenen Psychologin, bei dem mein Mann in einer für mich ungewohnten, selbstsicher-forschen Art auftrat. Er habe eigentlich alles , hatte er auf und ab gehend verkündet, die Hände in den Jackett-Taschen, einen guten Job, eine Frau, die ihn liebe, und Kinder, die ihn vergötterten. Womit er das jetzt also verdient habe?
    Ich hatte nur den Kopf schütteln können. Ehe ich nachgedacht und mir auch nur im Entferntesten klargemacht hatte, was ich da sagte, war mir folgender Satz rausgerutscht: »Wenn Simon nicht wäre, wären wir doch schon längst geschieden.« Mein Mann hatte kurz aufgeschaut, dann seinen Tigergang durchs Zimmer wieder aufgenommen, als wäre nichts gewesen. Auch ich, erschrocken über mich selbst, war nicht wieder darauf zurückgekommen.
    Weiter war es bei der improvisierten Familienaufstellung gegangen, der eine zweite Stunde gewidmet war, bei der wir auf dem Boden hockten und aus einem großen Haufen kreischbunter Stofftiere Stellvertreter für unsere Familie aussuchen sollten. Ich wählte widerwillig für meinen Mann einen Gorilla, weil der so groß und stark wirkte, wie Männer eben sein sollten, obwohl ich das Vieh nicht mochte. Mein Mann wählte für mich eine schwarze Fledermaus.
    Beim nächsten Mal galt es, das abgelaufene Jahr mittels eines langen Seils zu legen, dabei Höhen, Tiefen und Kurven darzustellen, Knoten und Lösungen, zusätzlich betont durch beigelegte Stofftiere. Mir stieß übel auf, dass im Jahr meines Mannes meine Person nicht ein einziges Mal vorkam, weder bei den guten noch bei den schlechten Ereignissen, nirgends. Obwohl es natürlich überwiegend um die Auseinandersetzung mit Simons Behinderung ging und dabei mir naturgemäß die Hauptaufgabe zufiel. Das war Teil eines Prozesses, der schleichend einsetzte, zum Teil quasi naturgegeben, da mein Mann sich nicht ständig freinehmen konnte für all die Termine bei Kindergärten, Ärzten, Therapeuten oder Jugendamtsmitarbeitern, die immer wieder anstanden. Das gesamte Simon-Unterstützungsnetz lief über mich, unser Leben war so zweigeteilt in Frauen- und Männerwelt, wie wir das nie gewollt hatten.
    Im Kindergarten zum Beispiel war Usus, dass auch die Eltern Aufsichtsdienst zu leisten hatten. Es gab Väter, die ihren Anteil am Kindergartendienst erledigten, ein freier Vormittag die Woche, abgezwackt vom Urlaubsanspruch, das konnte man hinbekommen. Auch Simons Vater hätte das öfter tun können. Aber bei ihm, der eigentlich der kinderfreundlichere von uns beiden war, derjenige, der bei den Kindergeburtstagen antrat, um die Meute zu bespaßen, hatte eine seltsame Kinderallergie eingesetzt. Er brachte es nicht mehr fertig, sein Kind neben normalen zu sehen. Er ertrug es schlichtweg nicht. Kinder, das sei für ihn vorbei, erklärte er mir.
    Mit der Schule später war es ähnlich. Er hatte »ein Problem« mit der Lebenshilfe – ich vermute, mit dem Anblick der Behinderten, zu denen sein Sohn nun zählte – und betrat die Räumlichkeiten die ersten beiden Jahre praktisch gar nicht. Ich hätte die Zeichen seiner Verwundung darin sehen müssen. Aber ich hatte keine Emotionen mehr übrig.
    Mit der Zeit, anfangs zögerlich, wurde es für mich zur Regel, Simons Vater zu schonen: seinen Beruf, seine Nerven, seine grundsätzlich eben nicht so belastbare Person. Irgendwie, irgendwann wurde es zum Diktum, dass ihm gewisse Dinge einfach nicht zugemutet werden konnten. Ich selbst, meine Eltern und irgendwann sogar unser älterer Sohn, wir alle haben automatisch angefangen, uns nach den Prinzipien dieser nie explizit ausgesprochenen Rücksichtsforderung zu verhalten.
    Jonathan hat mir kurz nach der Trennung gesagt, er hätte gewusst, dass wir uns scheiden lassen würden, der Papa habe immer so geseufzt. Er fügte hinzu: Früher hätte er sich bemüht, sich so zu verhalten, dass dieses väterliche Seufzen vermieden würde. Aber dann hätte er für

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