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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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sich beschlossen, das sei nicht seine Aufgabe. Da war er klüger als ich.
    Das Verhalten meines Mannes und mein eigenes entsprachen unseren grundlegenden Mechanismen: meiner Bereitschaft, mich endlos selbst zu überfordern, und seinem Sichbegnügen mit dem, was geht. Jahrelang war das kein Problem gewesen, im Gegenteil, wir ergänzten uns gut. Er bremste mich in meinem Übereifer, der gerne in schräge Gefühlslagen kippte, schwankend zwischen Euphorie und Verzweiflung, und hielt mich in der Mitte, ich stärkte und motivierte ihn. Mit der Zeit allerdings war alles, auch unter den mehrfachen Belastungen von Dissertation und Familie, in eine Schieflage geraten. Unter den Bedingungen von Autismus wurde es zum Problem.
    Immer öfter fiel von seiner Seite der Satz: »Danke, dass du das machst.« Anfangs war das sicher aufrichtig gemeint, später wurde es mit wachsender Routine aufgesagt, schließlich mit Unmut und hörbarem Verdruss. Auch bei mir wuchs die Gereiztheit. Immer öfter dachte ich: Scheiß auf den Dank. Tu’s halt selbst, wenn du dich nicht bedanken magst. Ich hatte jedes Vertrauen verloren, dass er recht haben und dass weniger mehr sein könnte. Alles, was er weniger tat, musste ich ja mehr machen.
    Vermutlich fühlte er sich von mir bevormundet, eingeengt und letztlich verachtet. Ich fühlte mich im Gegenzug als missbrauchtes Arbeitstier. Ich verfiel in Vorwürfe, er ertrug meine Unzufriedenheit schweigend. Eine ausgleichende Verständigung darüber fand nicht mehr statt. Immer sah ich mich in die Rolle derjenigen gedrängt, die etwas verlangte und wollte, für mich und für alle anderen. Ich war der lästige Dolmetscher des stummen Simon, auch der von Jonathan, der nie selbst auf sich aufmerksam machte, ich war der Überbringer schlechter Nachrichten, und sei es eine Banalität wie die, dass der Rasen gemäht werden musste oder das Wasser leergetrunken war, dass das Geld nicht reichte, der Bezirk uns die Therapie streichen wollte oder Jonathan Kontaktprobleme hatte. Wenn ich an die Tür seines Büros klopfte, wo er abends »World of Warcraft» spielte, war ich das Sprachrohr der gesamten bösen, anstrengenden Außenwelt.
    Zwischen uns existierte nichts mehr, was das ausgeglichen hätte.
    Die Frühförderung empfahl uns eine Paartherapie. Aber bei Therapien für Simon an vier Nachmittagen, dazu Elternberatungsstunden, eigene Psychotherapie – zeitweise waren wir beide in Behandlung –, da waren ohnehin schon Therapeuten überall. Wo sollte da noch eine Paartherapie hin? Wir hatten schlicht nicht die Zeit dafür, am Ende auch nicht die Energie. Vielleicht auch nicht mehr den Willen? Lieber hielten wir den Deckel drauf. Bis keiner von uns mehr die Aggression dem anderen gegenüber unterdrücken konnte. Sie zeigte sich erst in kleinen Situationen im Alltag, später – völlig untypisch für uns – in einem lauten Streit voller Beleidigungen. In der Lustlosigkeit der Versöhnungen, die ich, verzweifelt mich selbst belügend, anstrengte und die er verbal nie verweigerte, ohne jedoch viel mehr zu tun als das.
    Bis es nicht mehr ging. Wir hatten den brennenden Topf gelöscht. Aber jetzt standen wir da, zwei Autismus-Feuerwehrleute, schwer atmend, die Gesichter rußverschmiert und die Helme am Gürtel, schauten einander an und waren es leid. Wir waren müde, hatten keine Lust mehr, jetzt noch den jeweils anderen zu verarzten. Wir wollten nur noch jeder in seine rauchfreie Ecke kriechen und durchatmen, allein, jeder für sich.
    Unser endgültiges Ende waren schließlich die freien Abende einmal im Monat, die der familienentlastende Dienst uns gewährte. Dass es so etwas gibt, hatten wir mehr oder weniger durch Zufall herausgefunden, ebenso wie die Tatsache, dass man für die Pflege eines behinderten Kindes Pflegegeld beantragen kann. Irgendwann hatte mal jemand gesagt: »Was, Sie haben noch nicht …?« Auf diese Weise hatten wir nach Jahren der Verzweiflung für Simon immerhin Pflegestufe zwei bewilligt bekommen und damit die offizielle Anerkennung, ein hübsches Stück Arbeit zu leisten.
    Diese Abende der Zweisamkeit kamen für uns leider zu spät und beschleunigten den Trennungsprozess nur noch. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen, das kam dabei deutlich zutage. Immer öfter betrank ich mich bei diesen Aktionen zügig und musste dann in Tränen aufgelöst

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