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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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stellen, mein neues Dasein zu erproben.
    Dummerweise war gleich die erste Wohnung einfach ideal, ich wusste sofort, ich wollte sie wirklich haben, hell, groß, direkt gegenüber von Jonathans Schule und dem von Simon neuerdings so geliebten Hallenbad, in Fahrradnähe zur Stadt. Wir konnten die Katzen mitnehmen und sogar das Trampolin aufstellen, das für Simon so wichtig war, weil er sich darauf nach der Schule und überhaupt in allen Krisensituationen entspannte. Und, so lächerlich das klingen mag, es gab einen beheizten Handtuchhalter im Bad.
    Meine Mutter reagierte, wie ich es fast erwartet hatte, als ich ihr von der anstehenden Scheidung erzählte. Sie umarmte mich und sagte, ihr sei schon aufgefallen, dass es mir mit einem Mal so gut zu gehen scheine, und sie habe sich gefragt, woran das läge, das könne doch nicht nur die Wirkung des Yoga sein, mit dem ich begonnen hatte.
    Die Gelegenheit, bei der wir dieses Gespräch führten, war die Beerdigung ihrer Mutter. Meine Großmutter war endlich, endlich, nach langen Jahren der Agonie, in denen sie ohne Bewusstsein in ihrem Pflegeheim dahingedämmert war, gestorben und eingeäschert worden. Bekannte von ihr lebten nicht mehr, ohnehin hatte sie kaum welche besessen. Nur die engste Familie und ein paar Freunde meiner Eltern waren da, die als Unterstützer gekommen waren. Die Ansprache des Pfarrers dauerte keine fünfzehn Minuten.
    Meine Mutter weinte exakt eine Träne, nämlich als der Priester, der die Tote nie gekannt hatte und eine Standardrede über Mütterklischees hielt, sagte: »Sie haben erlebt, wie Ihre Mutter Ihnen die Hände reichte, um Sie durchs Leben zu geleiten.«
    In dem Moment schauten wir uns an, weil wir beide wussten: Nein, das hatte sie nicht. Sie hatte ignoriert und ausgenutzt, geschlagen und beschimpft. Aber die Hand gereicht, gar in schwierigen Momenten, das hatte sie nie. Das tat weh bis heute.
    Simon krähte fröhlich und unüberhörbar: »Hallo, Scheide« durch den Kirchenraum, was die Atmosphäre dankenswerterweise auflockerte. Wir, so wie wir da in der Kapelle saßen, um meine Mutter herum, waren eine Familie.
    Draußen schien die Sonne auf den wunderschönen neuen Friedhof in Forchheim, und meine Mutter freute sich für mich. »Ich bin so glücklich, dich wiederzuhaben«, sagte sie. »Jetzt kenne ich meine Tochter wieder.«
    Auch mein Vater blühte unerwartet auf. Ich wusste ja, dass ihm solche Dinge liegen: Häuser inspizieren, mit Verwaltern verhandeln, Versicherungen umschreiben, Angebote checken, günstige Konditionen aushandeln, und ich ließ ihn das gerne machen. Er stürzte sich mit Verve in die Scheidungsarbeit. Was aber viel verblüffender war: Er lobte mich mit einem Mal hin und wieder. Mein Vater lobte mich! Dass ich stark sei. Dass ich die Dinge so gut regele. Einmal machte er mir sogar ein Kompliment. Mein Vater, dessen letzte persönliche Bemerkung an mich gelautet hatte, ich hätte einen ganz schön fetten Arsch bekommen!
    Simon hatte begonnen, das zu ändern. Mein Vater hatte sich, als die Krankheit einen Namen bekam, aufgemacht, sie zu erforschen, hatte im Internet gesurft und immer wieder angerufen, um seine Funde mit mir zu teilen. Er hatte Infos ausgedruckt und an seine Freunde verteilt, hatte begonnen, halb Forchheim über Autismus aufzuklären. Wenn er einen Verhaltenstipp fand, probierte er ihn an Simon aus und war begeistert, wenn es funktionierte. Er war nicht immer effektiv hilfreich, aber ungemein rührend. Vor allem hat mich die positive, mutige Art berührt, mit der er, ebenso wie meine Mutter, die Sache anging, ohne Weinerlichkeit, ohne Hadern mit dem Schicksal, immer auf das Kind bedacht und so produktiv, wie es ihm möglich war. Vielleicht habe ich ihn da zum ersten Mal richtig geliebt. Über Simon konnten wir sprechen.
    Ãœber meine Scheidung sprachen wir ebenfalls und über alles, was vor uns lag und zu tun war. Wir hatten jetzt Momente, in denen wir verständnisinnige Blicke tauschten, wir konnten miteinander lachen. Er machte sich einen Spaß daraus, hier und da meine Mutter in puncto Verständnis für die Tochter auszubooten, und ich grinste ihn dann an. Ich war so froh, dass wir das auf unsere alten Tage noch geschafft hatten.
    Gott, er war siebzig, und ich wusste, dass er die Ordnung meiner Verhältnisse in gewisser Weise als sein Vermächtnis an mich begriff. Wenn ich daran

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