Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können
klare Aussage, der man vertrauen und auf die man reagieren konnte. Alles in allem sogar erfrischend normal. Es dauerte nur eine Weile, bis ich mich darüber freuen und vernünftig reagieren konnte.
Ich versuche, ihm zu sagen, dass er noch immer und für immer von allen geliebt wird, aber auch, dass es mit der Familienzusammenführung nichts werden wird. Dass ich gerne alles für sein Glück täte, das aber nicht tun kann.
Als er aufhörte zu schreien, begann das Weinen. Simon weint, wenn er weint, schwer und verzweifelt. Es tat so weh, seinen Kummer zu sehen, den ganz normalen Kummer eines Kindes, das seine Familie verloren hat. Nur dass man dieses Kind nicht in den Arm nehmen kann, um es zu trösten. Wie gerne würde ich ihn an mich drücken, halten und wiegen und ihm zuflüstern, dass alles gut wird. Aber er hält diese Berührung nicht aus, wenn er aufgeregt ist.
Mehr als andere ist er allein mit seinen Gefühlen, die er noch weniger als andere versteht und beherrscht. Nur mit Worten kann ich ihn berühren, Worte, von denen ich nicht weiÃ, ob es die richtigen sind, wie sie ihren Weg zu ihm finden und was sie in ihm auslösen.
Können Worte in so einem Moment überhaupt helfen?
Ich hörte ihn in seinem Zimmer toben, nachdem er mich hinausgeschickt hatte, während ich hilflos in der Küche herumstand und mehr als sonst spürte, wie allein er war. Wir waren es beide.
Kann man einem Autisten erklären, wie das ist, wenn eine Beziehung zerbricht? Was wird er verstehen, was akzeptieren? Ist das jetzt der Durchbruch, wird alles besser, wo wir endlich drüber reden, rudimentärer zwar, wie bei anderen sprechenden Menschen, aber immerhin? Oder wird er auf der Familienzusammenführung beharren, wie er seinerzeit darauf beharrt hatte, wieder ein Kleinkind sein zu wollen? Als er lieber aufs Dach hatte klettern wollen, um von dort aus mit Gott zu hadern, als es hinzunehmen? Wird er auf Wiederherstellung der Vergangenheit bestehen wie auf der Wiederauferstehung von Popolino, dem weiÃen Hund? Wird er sich in seinem Kummer verirren wie in einem Labyrinth? Ich wusste es nicht.
So oder so: Wir verständigen uns miteinander. In dürren, wirren Sätzen, über Wochen hinweg, aber wir reden. Es ist ein langer Weg voller Irrtümer und folglich voller Frust für beide Seiten. Manchmal gerät man vollends in die Irre und könnte an seinen rätselhaften Aussagen verzweifeln. Dennoch glaube ich daran, dass mein Sohn kein unlösbares Rätsel ist, er empfindet nachvollziehbar, wie jedes andere Kind, und mit viel Zeit und Hilfe kann er dem auch Ausdruck verleihen. Simon ist eben doch nicht »durch und durch autistisch«. Nur unsere Möglichkeiten der Kommunikation sind durch und durch defizitär. Man muss geduldig sein.
Es aushalten, dass am Tag nach jenem groÃen Erfolg schon der nächste Rückfall kam. Simon sollte mit mir gemeinsam basteln, er hatte getippt, dass er sich in der Vorweihnachtszeit etwas zu basteln wünsche, ich hatte deshalb einen Adventskalender zum Ausschneiden ausgesucht, aus dem ein hübscher Weihnachtsmarkt entstehen sollte.
Nach ein wenig hastigem Herumschneiden schon flüchtete Simon, ich rief ihn zurück, er brüllte aus seinem Zimmer: »Nein«, ich bestand darauf. Er kam, schrie in höchstem Diskant und ging auf mich los wie schon lange nicht mehr, ich konnte die Hiebe nicht alle abwehren, seine Arme nur mit Mühe festhalten. An Tippen, an irgendeine Verständigung war nicht zu denken. »Du wirst mir nicht weh tun«, rief ich wütend. Irgendwann biss ich ihn in die Hand, mit der er mir die Brille aus dem Gesicht geschlagen hatte.
Er rannte raus, lief auf und ab, murmelte, immer dasselbe, unverständlich. Ich saà in der Küche, geschockt, voller Scham, und starrte auf die kaputten Bastelbögen.
Später, beim Abendessen, nahm er im Vorbeigehen meine Hand, roch daran und küsste sie. Ich strich ihm übers Haar. Man muss geduldig sein.
P.S. Vor einigen Tagen stellte ich ihm das Aufsatzthema: Was ist Fukushima? Simon tippte: »es ist ein seltenes atomunglueck in japan. Ein atomkraftwerk hat sich erledigt. Das ist eine ubertragung aus seinem erdbeben.« Als ich ihn bat, zu sagen, was er dazu dachte, tippte er: »Ich furze auf das schreiben.«
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Dennoch: In der Schule blühte Simon auf, seit die Tipptafel es ihm erlaubte, Fragen im
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