Ich liebe mich... Sabrina (German Edition)
denen der anderen. An den ersten beiden Gruppenabenden hatten wir uns einander gegenseitig vorgestellt. Um sich die Namen der Teilnehmer besser einprägen zu können, schrieben wir unsere Vornamen mit rotem Filzer auf Tesakrepp und klebten uns diese als Namensschilder auf die Brust. Marc schrieb auf das Flipchart in der Ecke des Raumes fünf Stichworte, was unsere Vorstellung enthalten sollte. Er ermahnte uns außerdem mit strengem Blick in die Runde, dass wir von allen Kenntnissen, die wir in diesem Raum von anderen erhalten, unter keinen Umständen etwas nach draußentragen dürften. Topsecret sozusagen - Ehrensache versteht sich, und alle nickten stumm!
Unsere Kurzvorstellung sollte enthalten:
1. Herkunft
2. Beruflicher/familiärer Werdegang
3. Derzeitige soziale Situation
4. Was erwarte ich, in dieser Gruppe zu erfahren?
5. Was ist meine Absicht/Ziel?
Schon wieder eine Liste!, dachte ich. Mittlerweile fand ich es spannend, mit Listen zu arbeiten. Als ich an die Reihe kam, hatte ich zum Punkt 4 beizutragen: Wo stehe ich zurzeit?, und zum Punkt 5: Ich will wieder mehr Freude in mein Leben bringen!
Marc schrieb alle Antworten der Teilnehmer zu den Punkten 4 und 5 stichwortartig auf, um sie in den folgenden Sitzungen der Reihe nach abarbeiten zu können.
Ich war mit meiner Vorstellung als Vorletzte dran. Durch die Beiträge der anderen Gruppenmitglieder machte sich in mir, erst zögernd, dann immer stärker, die Erkenntnis breit, dass deren Probleme weit bedeutungsvoller zu sein schienen als meine eigenen. Es war unglaublich, zu sehen und zu hören, was das Leben an Problemen für die Menschen bereithielt. Gebannt lauschte ich, und allzu oft erwischte ich mich bei dem Gedanken: Wo ist eigentlich mein Problem?
Bei den anderen schien es mir immer so leicht zu sein, eine Antwort auf deren Fragen und Probleme zu finden.
Als Letzte meldete sich Hanne zu Wort. Ich war gespannt auf ihre Geschichte. Hatte ich es doch in den vergangenen Tagen, an denen wir schon so viel zusammen unternommen und überwiegend von mir gesprochen hatten, nicht geschafft, sie zu fragen, warum sie eigentlich hier auf Kur ist? Es hatte mich eine unerklärliche Hemmung daran gehindert.
Nun erfuhr ich, dass sie Krebs hatte und war schockiert! Sie gab an, in dieser Gruppe erfahren zu wollen, wie andere mit ihren Ängsten umgingen. Ihre Absicht sei es, mit ihren eigenen besser umgehen zu lernen.
Diese Neuigkeit fühlte sich an wie ein Faustschlag in meine Magengrube! Damit hatte ich nicht gerechnet, so vital und abgeklärt wie sie auf mich bisher wirkte - unmöglich, dass sie so schwer krank sein sollte! Hanne sah zu mir und legte mir ihre Hand stumm lächelnd auf den Oberarm. Ihre tröstende Berührung dauerte nur Sekunden. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen und sah weg.
Es dauerte Minuten, in denen ich kein Wort von dem wahrnahm, was in der Gruppe gesprochen wurde. Ich tauchte gedanklich erst wieder auf, als Marc am Ende der Stunde kurz am Flipchart die Punkte durchging, die wir bei den folgenden Zusammenkünften thematisch bearbeiten wollten. Es würde um die Themen gehen, die die Teilnehmer unter Punkt 4 und 5 angegeben hatten: Ängste, Zweifel, Komplexe, verurteilen, loslassen, lieben, hassen, Selbstbehauptung, Egoismus, Ehrlichkeit, Tod, Zynismus.
Oha, dachte ich, welche weiten Felder sich da wohl noch vor uns auftun werden?
Während des Waldspaziergangs, kurz vor Sonnenuntergang, gingen Hanne und ich minutenlang schweigend nebeneinander her. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Hanne nahm schließlich den Gesprächsfaden auf. »Ich hätte es dir vorher sagen sollen, nicht wahr?«
»Ist schon gut, wer möchte schon mit seinen Krankheiten hausieren gehen? Ich verstehe das.«
»Du musst mich jetzt nicht als Sterbende sehen, Brina. Mein Brustkrebs hat sich nach der Chemo zurückgebildet. Ich hatte Glück, dass er bei einer Vorsorge-Mammografie entdeckt wurde, da war er noch klein und behandelbar. Die Chemo hingegen, hätte mich fast umgebracht, nicht der Krebs. Nachdem meine Haare wieder nachwuchsen und die Kontrolluntersuchungen auch alle zufrieden stellend verliefen, nahm ich mir vor, mich als geheilt zu betrachten - bin ich ja auch! Das Ganze liegt jetzt drei Jahre zurück. Als geheilt, aus medizinischer Sicht, gilt man allerdings erst nach fünf Jahren ohne erneute Metastasen. Aber, obwohl ich mich als gesund betrachte, habe ich Phasen, in denen
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