Ich liebe mich... Sabrina (German Edition)
aus, ich hätte Lust am Samstag nach Rostock zu fahren und mich ins Nachtleben zu stürzen. Gibt 'ne schöne Ü30-Party, wo immer tolle Typen sein sollen und 'ne gute Mucke ab geht. Wie steht's, kommst du mit?«
Meinem ersten Impuls folgend, war ich schon drauf und dran dankend abzulehnen, besann mich aber und sah ihr kühn in die Augen. »Klar, abgemacht! Ich bin schon seit Jahrzehnten nicht mehr Abhotten gewesen. Glaubst du, die lassen mich Oma noch rein? Ich bin schließlich knapp unter fünfzig.«
Angie sah mich abschätzend von oben bis unten an und meinte dann frech, »Hätt' ich dich sonst gefragt, Oma? Aber an deinen Klamotten müssen wir bis dahin noch was drehen. Ich hätt' dir ja welche von mir geliehen, aber die dürften nicht ganz passen!«
Wie wahr, da hatte sie zweifellos recht. Angie kaufte wahrscheinlich ihre Klamotten immer in der Kinder-Abteilung, bei ihrer zierlichen Figur. Ich war schon stolz darauf, noch in Größe 38 zu passen.
»Was ist denn angesagt zur Zeit?«, fragte ich unsicher.
»Ich denk' darüber nach, da wird uns schon noch etwas einfallen. Meinst du, Hanne kommt auch mit?«
»Weiß nicht, ich habe meine vorgefassten Meinungen aufgegeben, seit ich Hanne kenne. Sie war bisher für Überraschungen noch immer gut. Fragen wir sie nachher beim Mittagessen.«
Fernes Donnergrollen war durch die offene Balkontür zu hören. Kein Windhauch war zu spüren. Die Schwüle lastete unter der dunstigen Glocke des späten Vormittages. Aus Westen kommend, schob sich eine Schlechtwetterfront mit bizarren Wolkengebilden heran.
»Da braut ja ganz schön etwas zusammen!«, sagte ich mit Blick aus dem Fenster.
»Ich hab keine Angst vor Gewitter, und die Häuser sind ja zum Glück hohl.« Angie sah auf ihre Uhr. »Ich muss los zur nächsten Anwendung, wir sehen uns zu Mittag.« Schon war sie aus der Tür. Neues dumpfes Gewittergrollen begleitete ihren Abgang.
Mein Blick fiel auf meinen Schreibblock auf der Anrichte und ich dachte daran, dass ich demnächst eine weitere Position von meiner Ängste-Liste streichen konnte: Allein Tanzen gehen und Abhotten was das Zeug hält. Na gut, allein war ich natürlich nicht, wenn ich mit Angie loszog. Aber dem Sinn nach ging es ja darum, ohne männlichen Begleiter zum Tanzen zu gehen. Ich freute mich schon und wusste bereits, dass ich mich trauen würde, alleine zu tanzen - sollten doch die anderen denken was sie wollten, pah!
Meine Gedanken fühlten sich richtig gut an. Ich spürte, wie ein Zipfelchen meiner Jungmädchen-Seele zum Leben erwachte, fast so, als ob ein Schmetterling sich aus seinem Kokon befreite, bereit, sich in die Lüfte zu erheben und den Tanz der Freiheit und Schwerelosigkeit zu genießen. Vergessen war der Schmerz des gestrigen Gute-Nacht-Tees bei Hanne. Ich atmete tief durch und trat auf den Balkon.
Die Wolkenfront war näher gekommen, türmte sich jetzt fast senkrecht über uns auf und die Bäume des Parks begannen sich unter dem Druck der ersten Sturmböen zu biegen. Ein mächtiges Blätterrauschen erreichte mein Ohr, noch bevor mich der beginnende Sturm mit seinen Ausläufern erreichte. Ich ging schnell wieder rein, schloss die Balkontür und im selben Moment drückte der Sturm mächtig gegen die Scheiben, zugleich klatschten die ersten schweren Regentropfen hernieder und das Unwetter brach los. Es war so dunkel geworden, dass ich die Stehlampe am Tisch einschalten musste, um mein Geschreibsel auf dem Schreibblock entziffern zu können.
Ich hatte meine Aufgabe von Herrn Sibelius gestern begonnen und wollte fortfahren.
Das Thema lautete: Würde ich es bevorzugen, jemand anderer als ich zu sein?
Ich las noch einmal die Zeilen, die ich schon zu Papier gebracht hatte: Nein, ich würde nicht tauschen wollen, weil: Ich mir gefalle, zwei wunderbare Töchter habe, eine schöne Kinder- und Jugendzeit verleben durfte, einigermaßen gesund und ohne finanzielle Sorgen bin... Ich nahm den Stift zur Hand und fuhr fort mit der Aufzählung der Habenseite meines Lebenskontos: ...ich gute Freundinnen und Freunde habe, ich satt und zufrieden jeden Abend ins Bett gehen kann.
Halt, Sabrina, das stimmte ja nicht, ich ging nicht abends zufrieden ins Bett! Ich strich das Wort, lehnte mich zurück und ließ mir den Begriff Zufriedenheit durch den Kopf gehen. Wann ist man zufrieden? , fragte ich mich. Als hätte ich den berühmten kleinen Mann im Ohr, hörte ich wieder eine
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