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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Tee scheint ihr gutzutun, sie bekommt Farbe, sie sieht sich um.
    »Du bist ein richtiger Freund, Papi. Schicke Wohnung! Was machst du eigentlich damit?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Da du sie also behältst, wird sie nicht lange leerstehen.«
    Er geht nicht darauf ein.
    »Wann glaubst du, daß wir nach Hause können?«
    »Mach dir keine Sorgen. Ich stehe schon rechtzeitig mit strahlenden Kinderaugen vor dem Weihnachtsbaum.«
    »Du bist unmöglich!« sagt er und findet, die Feststellung passe ebensogut auf ihn. Diese Jugend ist nicht mehr geborgen, will es gar nicht sein; oder versteckt sie hinter ihrer zur Schau getragenen Kühle, hinter ihrem Zynismus nur Sehnsucht nach bürgerlichen Daunenbetten, nach gleichen Ansichten und Gewohnheiten, gleichen Episoden mit austauschbaren Partnern? Wenn er diesen Kerl erwischt, der ihm das angetan hat! Er wird sie doch fragen.
    Stephanie hat die Augen geschlossen. Er holt sich einen Whisky, trinkt auf und ab gehend. Nebenan im Wohnzimmer kann er ein Fenster aufmachen, versucht sich durch Tiefatmen zu beruhigen. Sein Kind hat eine Abtreibung hinter sich, sein Kind. Kann nicht einmal Ruhe sein, wenigstens an Weihnachten, ist das zu viel verlangt? Andererseits hat Stephanie nur das getan, was Millionen tun. Täglich. Das nächstemal wird er’s gar nicht mehr erfahren.
    Sein Kind ruft. Er geht hinüber.
    »Papi, riech ich noch sehr nach Arzt?«
    Ernst schnuppert er um sie herum. Salzburg fällt ihm ein, Stephanies Duft nach Frische; so ist es nicht mehr, wird es nie mehr sein; er möchte sie in den Arm nehmen, sie streicheln, aber er läßt es, bringt ihr die Dose Lavendelspray, die er in der Küche stehen sah.
    »Prima Idee, Papi. Ruf mal Mami an. Du mußt dir was einfallen lassen!«
    Er möchte sich entrüsten wegen ihrer Selbstverständlichkeit, aber er läßt es, greift zum Apparat. Eigentlich hat seine Frau eine besonders angenehme Stimme am Telefon. Er ist drauf und dran, es ihr zu sagen. Ohne ihn zu unterbrechen hört sie sich seinen Bericht von dem herrlichen Weihnachtsspaziergang durch den Englischen Garten an, und daß sie im Aumeister noch eine Tasse Tee trinken wollen. Gegen vier wären sie dann zu Hause.
    Seine Frau fand ihre Tochter reichlich blaß nach einem so ausgedehnten Spaziergang, fühlte ihr Stirn und Puls. Ohne das geringste Anzeichen von Nervosität ging Stephanie darauf ein: Sie fühle sich auch nicht frisch — der ungewohnte lange Spaziergang — und würde sich gerne ein bißchen hinlegen. Das Christkind möge sich Zeit lassen.

    Jedes Jahr schmückten die Eltern den Weihnachtsbaum. Sie beschwerte die Zweige mit glänzenden Äpfeln; er wickelte die Krippenfiguren aus und kämpfte gegen das Schweigen an. »Wenn man bedenkt, daß die Krippe schon von meiner Großmutter für meine Mutter aufgestellt worden ist. Wer hat so was noch? Und vollzählig! Bis auf das Jesuskind. Das wurde einmal... ausgetauscht, ich meine ergänzt, weil es verlorenging. Das neue ist etwas groß für die kleine Maria. Was wäre wohl, wenn es nicht zur Welt gekommen wäre?« Sie lächelte, und er beeilte sich das Thema auszubauen.
    »Ja, was wäre? Es hätte ein paar Kriege weniger gegeben oder genauso viele unter anderen Parolen. Die Menschen wären weder dümmer noch gescheiter und Europa vermutlich mohammedanisch.«
    Und du hättest einen Harem. Völlig legal! wollte sie sagen. Aber sie unterließ es. Dabei hätte sie gerne mit ihm gesprochen. Auch er hätte gerne mit ihr gesprochen, ihre Pläne erfahren. Aber er unterließ es.
    Das Personal, mit Sonderzulagen gedungen, auch während der Feiertage zu Diensten zu stehen, nahm an Eifer ab und an Sentimentalität zu, je näher der Abend kam.
    Um halb sieben wurde beschert. Mit Gesang. Des Personals wegen. Es sollte nichts vermissen, was dazugehört. Man freute sich, bedankte sich, aß, was man an Weihnachten ißt, und atmete verhalten auf, als sich das Personal verabschiedete.
    Alsbald verabschiedete sich auch Stephanie; ihr liege der Fußmarsch noch in den Gliedern; Golo verabschiedete sich: er müsse nach seiner zukünftigen Familie sehen, die er gerade an diesem Abend nicht missen wolle; die Mutter fand es albern, länger vor dem Christbaum zu sitzen, ohne die Kinder. Der Vater gab sich als Leidtragender: unter diesen Umständen werde er ins Werk fahren und sich in der Arbeitersiedlung zeigen, wo man Sinn für Weihnachtsstimmung habe. Vor ihren Augen fädelte er das dünne Goldkettchen durchs Knopfloch des Revers und senkte die neue,

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