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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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zog sich seine Frau zurück.
    Hilde hatte schon geschlafen, war aber sofort hellwach und dankbar, daß er noch anrief. Es habe ihr doch einen kleinen Stich gegeben, ihn im Fernsehen an der Seite seiner Frau sehen zu müssen, >glückstrahlend<, wie sie sich ausdrückte. Er schwieg und sie beeilte sich tapfer zu klingen. Darauf kam er zum Geschäft, ließ sie wissen, wie erfolgreich der Abend für ihn persönlich gewesen sei, dank ihrer Vorarbeit, wie nützlich, was er erfahren habe, wen er beeinflussen konnte. Erstaunen und Lob ihrerseits. Er pries das Team, ließ sie auf stehen, einen Stenoblock holen und diktierte von Bett zu Bett ein Memorandum.

    Auf Hilde war Verlaß.
    Das wußte die ganze Familie. Wenn der Vater verreisen mußte, vertrat Hilde den Chef, bestimmte, wann Alois zur Gartenarbeit abgezweigt werden konnte, wann er die Wäsche holen sollte und die frisch gebügelten Anzüge vom Schneider. Wenn Golo zum Skilaufen fahren wollte und die Zugverbindungen nicht wußte, rief er Hilde an; auch die Frau des Chefs telefonierte häufig mit ihr.
    »Sagen Sie Hilde, kommt mein Mann Dienstag zurück oder Donnerstag?«
    »Freitag.«
    »Wann? Da sind wir abends bei Schröders.«
    »Nein, gnädige Frau. Ich habe abgesagt.«
    »Wieso? Letzte Woche bei der Baronin Schäftlarn haben Sie auch abgesagt. Mir ist es ja recht. Nur wissen würde ich’s gerne etwas früher.«
    »Tut mir leid, gnädige Frau. Zur Zeit ist alles sehr unsicher. Wir kommen sowieso kaum rum mit den Terminen. Wir sind einfach überfordert. Sie wissen ja, wie’s manchmal zugeht bei uns...«
    Hilde denkt an alles. Vierundzwanzig Stunden am Tag. Oft bringt er abends sein Aktenköfferchen mit. Dann stehen sie in der auch während des Kochens immer aufgeräumten Puppenküche, sie rapportiert, bis ihm etwas einfällt; er geht ins Wohnzimmer, holt aus ihrer Handtasche — Krokodil — den Stenoblock, bringt ihn in die Küche, übernimmt den Kochlöffel, rührt weiter, während sie sein Diktat aufnimmt. Alles, auch was in der Kasserolle dampft, dreht sich um ihn. Dynamische Führungskräfte müssen vitaminreich und kalorienarm essen, bedürfen nach »einsamen« Entscheidungen liebevoll zubereiteter Kost, brauchen Erbauung, um sich zu erholen. Wie strahlt der Geliebte und Chef, wenn sie ihn mit etwas überrascht, wovon er in Genießerlaune geträumt hat, oder wenn sie ihn, bescheiden im Hintergrund bleibend, Programme entwickeln läßt. Hilde kennt ihn und ihre eigene Situation. Sie muß arbeiten, durch Leistung Gemeinsamkeit schaffen, um ihre Waagschale damit zu beschweren, die noch sehr weit oben hängt, gemessen am Gewicht einer fünfundzwanzigjährigen Ehe. Sie sieht, daß er ihr Weihnachtsgeschenk, die Brieftasche, nicht benützt, sehr wohl aber das Geschenk seiner Frau, die Taschenuhr. Sie hat es ihm gesagt in einem unbedachten Augenblick, und er hat zu ihr gesprochen wie ein väterlicher Chef.
    »Deine Brieftasche hab ich auf Reisen immer dabei. Da erinnert sie mich am wirksamsten an dich. Wenn ich bezahle, mich ausweise, Notizen suche. Und mit der Uhr, das ist psychologisch furchtbar einfach: mein Vater hatte so eine, sie erinnert mich an ihn. Ohne Umweg. Man muß Beziehungen haben zu den Gegenständen des täglichen Gebrauchs. Das mußt du verstehen.«
    Hilde verstand. Sie liebte es, wenn er so zu ihr sprach, mit seigneuralem Lächeln in die Ferne dozierte, liebte ihn dafür, auch wenn sie ihm mit dem Herzen nicht glaubte. Sie sah ihre Grenzen, wußte, daß sie angewiesen war auf Geduld und zähen Fleiß, daß sie sich alles erarbeiten mußte. Sie hatte Erfahrung. Auch für Monikas Vater hatte sie gekocht, hatte seinen Gedanken gelauscht, immer bereit für alles, was er von ihr wünschte. Das war nicht viel gewesen. Im Grunde nur eine folgenschwere Nacht. Aber sie hatte nicht auf Heirat bestanden, hatte ihn weiter versorgt, zu seinen Ideen genickt, bis er nicht mehr kam.
    Auf Hilde war Verlaß. Und würden im Zuge einer Automatisierung menschlichen Zusammenlebens Männer auf dem Fließband an ihr vorbeibewegt, sie würde sich auf den Rhythmus einstellen, für jeden ein Süppchen bereit haben und zum Nachtisch sich selbst, vorausgesetzt, daß man sie dazu erzogen hätte, für alle dazusein. Hilde lernte einen Mann auswendig, vergaß nichts mehr, was ihm gefiel und besaß die Fähigkeit, jeden, dem sie gefiel, mit denselben Mitteln glücklich zu machen.
    Nichts brachte sie durcheinander. Es sei denn, auf ausdrücklichen Wunsch. Zuerst die

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