Ich liebe mich
wieder — ich bin ein anderer Mensch geworden — ach ja
»Was wünscht ihr euch eigentlich zu Weihnachten?« erkundigte sich ein froh gestimmter Vater während des Mittagessens im Kreis der Familie.
»Was wünschst du dir eigentlich?« fragte der Chef abends im properen Heim der Sekretärin. Er mußte die Frage wiederholen, da gerade ein zur Landung ansetzender Düsenriese das Haus beängstigend niedrig überflog.
Seine Frau strafte seinen guten Willen mit Bescheidenheit. Sie hatte keine Wünsche. Stephanie wollte eine Leopardenpelzjacke und sagte es. Hilde wollte auch eine, sagte es aber nicht. Da er ohnehin nicht wußte, was er ihr außer einem Schmuckstück schenken sollte, nahm er Stephanies Wunsch als Anregung. In ein und demselben Geschäft gleich mehrere seiner liebsten Nächsten versorgen zu können, erfüllte ihn mit solcher Freude, daß er angesichts der Rechnung nicht länger zweifelte, zu einem besseren and liebevolleren Menschen gereift zu sein.
Grau lag München unter der Dunstglocke, die sich seit Tagen nicht hob. In seiner Vorstellung sah er die Stadt weiß, im Winterkleid. Die hastenden Menschen, die sich in Straßen und Geschäften drängten, erschienen ihm von der Vorfreude auf den jour fix der Nächstenliebe nicht minder beschwingt, als er selbst es war. Beladen mit Paketen liefen sie Slalom umeinander herum. Die Weihnachtsreklame kam ihm weniger aufwendig vor als in vergangenen Jahren. Dafür roch es um so eindringlicher, stauten sich die von Jahr zu Jahr größer werdenden Wagen. Die Theatinerstraße konnte er nur noch an der Ampel überqueren, nicht mehr diagonal von Geschäft zu Geschäft; vor der Hauptpost reichte der Bürgersteig nicht mehr aus, den Strom der in die Maximilianstraße Strebenden aufzunehmen. Überall wo Ampeln den Verkehr zerhackten, standen zusätzlich Schutzleute, winkten die Fahrer noch bei Rot über die Kreuzung, daß die anderen, bei denen es längst >grünte<, ihre Kühler ungeduldig nach vorn schoben, bis alle Fahrtrichtungen blockiert waren. Politessen notierten fleißig die an Halteverboten abgestellten Wagen.
In der Tiefgarage unter dem Max-Josephs-Platz besaß die Familie das ganze Jahr einen reservierten Platz, den er für gewöhnlich nur beanspruchte, wenn er einmal ohne Alois zum Mittagessen in die Stadt fuhr. Auch seine Frau benutzte ihn kaum. Sie mochte die Stadt nicht mehr, nicht die laute Betriebsamkeit. So blieb München in der Familie weiterhin Millionendorf mit ländlich bequemer Parkmöglichkeit, kompaktem Einkaufszentrum von der Maximilianstraße bis zum Lenbachplatz, vom Odeons- bis hinauf zum Marienplatz, den er nur des großen Weihnachtsbaumes wegen aufsuchte. Hier endete sein Einkaufsgebiet. Daß er heute über den Viktualienmarkt zum Christkindlmarkt weiterlief, hing mit einer Jugenderinnerung zusammen. Als er ein Bub war, hatte es diese Märkte noch überall gegeben, mit Ständen unter Zeltplanen, dick vermummten Standlfrauen und Kerzenbeleuchtung, in deren Schein die zum Verkauf ausgelegten Christbaumkugeln glitzerten. Golo fiel ihm ein. Was schenkt der sorgende Vater seinem studierenden Sohn, der in absehbarer Zeit Oberhaupt einer mehrköpfigen Familie sein wird?
»Geld wird ihm am liebsten sein«, sagte seine Frau am Abend. »Ich habe mit ihm gesprochen. Geben wir ihm einen Scheck. Du weißt, ich bin mit seiner kinderreichen Braut genausowenig einverstanden wie du. Aber, erkläre mir, warum in der Welt soll er das Werk übernehmen, wenn er Arzt werden will?«
»Das war ein Test. Ich wollte sehen, wie ernst es ihm ist. Er hat die Frau vorgezogen. Die Menschheit kann von Glück reden, daß er nicht Arzt wird. Im Werk wird er sich schon einarbeiten. Dafür sorge ich. Der Name soll bleiben. Solange ich lebe. Was dann geschieht, weiß Gott allein. Ich habe eben eine andere Einstellung als Paul.«
Seine Frau ging nicht darauf ein, sah die Liste der zu beschenkenden Freunde mit ihm durch. Danach machte er sich bei Hilde über die Liste der zu beschenkenden Geschäftsfreunde und Mitarbeiter, unterschrieb morgens im Werk Hunderte von Weihnachtskarten, die von Hilde in drei Stapel geordnet vor ihm lagen. Links: Namenszug, Mitte Namenszug und das vertrauliche Ihr davor, rechts: Namenszug mit dem Zusatz: und Frau. Als Weihnachtsmotiv prangte außen auf der Klappkarte der Engel mit Laute vom Altar in der Blutenburg an der Autobahnausfahrt nach Stuttgart.
Die offizielle große Weihnachtsfeier im Werk war längst durch das dreizehnte Monatsgehalt
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