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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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fortschrittlich erklären — sicher hat der Alte dem Kanzler die Umrüstung eingeredet — weil ein Betrieb in seiner Gruppe nicht läuft Von allen Seiten strebten Menschen in ausholendem Wanderschritt demselben Ziel entgegen, solide Wesen, naturverbunden, nichts Lautes in Kleidung und Gebaren. In der Eingangshalle des burgartigen Kurheims liefen sie der Leiterin in die Hände. Überschwengliche Begrüßung Elviras.
    Er, noch nicht vorgestellt, bleibt abseits und läßt die Augen schweifen. Von der handgetriebenen Brosche am Rande des überdurchschnittlich gesprenkelten Ausschnitts zum unmodisch langen, handgewebten Rock, zu den rosigen Zehen in offenen Sandalen appetitlich gereiht, wie Mandarinenschnitze auf einer Obsttorte. Eine lederne Gesundheit strömt von ihr aus, daß Pan sich fühlt wie ein Aussätziger. Was sein Blick erfaßt, den Haar knoten, den Schlüsselbund am Schürzenband, die Sprenkelung der Arme — eine Zutat bleibt allgegenwärtig: Zwei Reihen unendlich zahlreicher, kräftiger Zähne. Ihr Lachen blitzt, als ziehe sie blank.
    Die Damen rufen einander Namen zu und versichern, sich zu erinnern. Noch immer wartet Pan auf eine Gesprächslücke. Merkwürdig, daß Elvira ihn nicht vorstellt? Jetzt. Er tritt hinzu. Da stehen plötzlich die kräftigen Zähne vor ihm: »Wir stellen uns hier nicht vor, wir grüßen nicht, nennen keine Titel. Jeder spricht mit jedem, Gast mit Gästin. Alle sind Ferienfreunde, eine große Familie.«
    Er nickt. Anonymität kommt ihm gelegen. Sie gehen zur Treppe. Elvira lächelt mit verhaltenem Feuer. Wie schon angedeutet, sei manches anders hier. Darin liege die Erholung. Sie deutet auf einen Deckbalken, den die Losung des Hauses ziert. Pan hebt die weitsichtigen Augen und liest. FREUEN! SINNEN! KOSMISCH SCHWINGEN!
    Elvira küßte ein Mädchen, groß, schmal, in oft gewaschenem Dirndl, wie es die Hausangestellten tragen, ein junges Ding, in Stephanies Alter ungefähr, Gesicht und Haare andeutungsweise nach Zeitgeschmack uniformiert und mit großen Füßen. Sittenwidrig stellt Elvira vor:
    »Das ist Babette, mein Nichtchen.«
    Händedruck, Mädchenlächeln mit Knicks, die Nichte entschuldigt sich mit Arbeit. Mütterlich blickt Elvira ihr hinterdrein, als sei sie der brachliegenden Seite in ihrem Frauenleben innegeworden. Auch Pan sieht dem Mädchen nach.
    »Warum arbeitet sie hier?«
    »Sie ist Saaltochter!«
    Es klingt maßregelnd. Hier zu dienen gilt bei Ferienfreunden als standesgemäß und anstrebenswert. Manche der anwesenden Gästinnen war mit ihrem späteren Mann beim Bettenmachen in erste kosmische Schwingung geraten. Bei Babette, erklärt Elvira, verhalte es sich anders. Sie habe das Mädchen hier untergebracht, um ihm über eine unglückliche Liebe wegzuhelfen.
    Pan denkt sachlicher.
    »Sie sollte lieber was Richtiges lernen! Macht einen intelligenten Eindruck.«
    Von Barmitteln, den leider auch hier fehlenden, ist im folgenden die Rede, so gründlich, daß Pan als Mensch und Ferienfreund nicht länger passiv bleiben kann. Da er das Mädchen nicht kennt, nimmt er die eigene Tochter als Hilfsziel, empfiehlt, was er Stephanie raten würde. Er sei bereit, eine Starthilfe zu geben, möchte aber keinesfalls als spendabler Onkel auftreten, sondern im Hintergrund bleiben. Dankbarkeits- und Schuldgefühle seien für junge Menschen sehr belastend. Babette solle nach Ablauf der Zeit, für die sie sich hier verpflichtet habe, einen Beruf wählen, der ihren Fähigkeiten und Neigungen entspricht. Alles Nötige werde er dann in die Wege leiten.
    Begeistert nimmt Elvira sein Angebot auf, sieht endlich Gelegenheit, das Brachfeld ihrer Mütterlichkeit mit der Nichte zu bebauen. Pan droht in uferlosem Dank zu ersticken. Bis der Gong zur Essensrunde ihn rettet.
    Sie saßen an langen Tischen und aßen, werkstattmäßig, ohne aufwendigen Service, wenn auch nach verschiedenen Diätrezepten. Unhörbar, als liefen sie barfuß, bewegten sich die Saaltöchter im Spannungsfeld wohlwollender Blicke. Damit es sich treffe, daß jeder mit jedem spreche, wechselte die Tischordnung von Mahl zu Mahl.
    »Sie sind Akademiker«, stellte die mollige Gästin an Pans Seite mit dem Blick der erfahrenen Ferienfreundin fest. Ihrem Alter nach mochte sie eine kosmische Mitschwingerin der Gründungsjahre sein. Pan versuchte über den Rand ihres Breitellers den Namen auf der Tischkarte zu entziffern, ließ davon ab, als ihm einfiel, daß es bei den hiesigen Sitten unerheblich sei, ihn zu kennen, nickte und aß

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