Ich liebe mich
kommen vorbei, eine Tür geht auf, einer grüßt einen und die andern nicht, wieder Mädchen, Kaffeetasse in der Hand, ein Mann mit Geräten versucht rechts vorbeizukommen, bis ihm der Überholvorgang links gelingt. Durch eine offene Tür Dialog.
»Mahlzeit!«
»Mahlzeit!«
Die Studiouhr zeigt auf zwei, eine Leuchtschrift flammt auf: Bitte Ruhe! Aufnahme!
Nur der nasse Lappen einer Putzfrau glitscht weiter über den schallschluckenden Kunststoff.
Auf der Rückfahrt vom Kurheim hatte er alle einschlägigen Zeitungen gelesen. Hildes Dementi war Maßarbeit. Und der Industriekaiser hatte ihn in einem Interview lobend erwähnt. Er habe, da stand es in Anführungszeichen, einen »Neuen Gesprächsstil« gefunden. Diese Formulierung prägte er sich ein, denn es war wichtig, seine eigenen Verdienste wenigstens benennen zu können. Weil er falsch gelegen hatte, lag er jetzt richtiger denn je. Alle Eingeweihten hatten mitgeholfen, seine tatsächlichen Äußerungen in eine richtungweisende Tat umzulächeln, damit auch weiterhin scheine, was nie Wirklichkeit war. Und da auch die Regierung dringend einen neuen Gesprächsstil suchte, kam er ihr als Schrittmacher so gelegen, daß sie es für nützlich erachtete, den Ministerpräsidenten persönlich zu bemühen.
»Vorsicht Herr Direktor, ein Kabel!«
Die Wand war aus Pappe, die Bücher waren Attrappen, echt war die Hand des Ministerpräsidenten, wohltemperiert, kraftvoll nach Art des Landes.
»Ja mein Lieber, Gott zum Gruße, Sie Stolz unserer Wirtschaft! Schee ham’s dees gmacht! Summa cum laude!«
Von irgendwo eine Stimme.
»Bitte meine Herren, wir müssen!«
Männer stellen sich vor, geben Hinweise; er schüttelt Hände, ohne Gesichter zu sehen.
»Sie sitzen bitte hier, Herr Direktor!«
Licht flutet, ein Stuhl, den er nicht sieht, wird ihm in die Kniekehlen geschoben.
»Bitte noch etwas nach rechts!« sagt laut die Stimme, daß er sich suchend umsieht. »Okay. Einzeichnen!«
Eine Ringergestalt tritt ins Grelle, kniet vor ihm, ein Stück Kreide in der Pranke und malt Ringe um alle vier Stuhlbeine: Beschwörungszeichen der Television. Licht sammelt sich auf der Stirn des Wirtschaftsführers zu schweißtreibenden Bündeln. Wie in den kritischsten Stunden seines Leidens. Dazu wieder die Stimme. Sie muß von oben kommen, gleichsam aus dem All.
»Den Vierer tiefer! Noch... noch... Danke.«
Der Ministerpräsident, gleichfalls magisch mit Kreidekringeln umrandet, neigt sich herüber.
»Wir sprechen am besten ganz allgemein. Sie bestätigen Ihre Bemühungen um einen neuen Gesprächsstil; ich lobe die objektive Berichterstattung...«
In der Geschäftigkeit ringsum versteht der Wirtschaftsführer seinen Landesvater schlecht. So sitzt man nicht, wenn man sich unterhält. Er rückt den Stuhl näher.
Die Stimme:
»Herr Direktor, bitte! Sie müssen sitzen bleiben. Sie sind eingezeichnet.«
Die Ringergestalt tritt ins Licht, rückt die Stuhlbeine in die Kreise zurück. Irritiert beugt sich der Ministerpräsident vor. Der Wirtschaftsführer folgt seinem Beispiel und versteht ihn wieder.
»Wenn Sie da eine Pause machen könnten. Da würde ich gerne das Lob auf die Presse einflechten...«
Stentorstimme aus dem All.
»Herr Ministerpräsident, Herr Direktor, bleiben Sie bitte, wie wir Sie gesetzt haben. Wir müssen einrichten. — Die drei mehr nach rechts! Wir fangen auf dem Herrn Ministerpräsidenten an. Zwei, du hast das Insert, dann gehst du auf die Hände. Auf Zeichen. Okay?«
Fügsam lächeln die Mächtigen, sitzen starr, wie zu minutenlanger Belichtung. Gleich kommt es drauf an! Vor ein paar Millionen immerhin. Ohne sich vorzubeugen, angelt der Wirtschaftsführer nach dem Notizzettel, den er auf dem kleinen Tisch hinter dem Blumenkörbchen versteckt hat, und rekapituliert, für niemanden hörbar.
»...wie Sie wissen... Wie Sie wissen bin ich anfangs mißverstanden worden. Dabei hat die Zugrundelegung meiner Perspektivierung nie Intensivierung einer Verselbständigung...«
Stentorstimme. Die Mächtigen zucken.
»Herr Direktor, wenn Sie sich bei >Verselbständigung< zurücklehnen, sind Sie völlig aus dem Licht. Ihren Kopf bitte weiter vor!«
Zwischenruf auf Studioebene: »Fünfer anheben! Gut.«
Während er sich zurechtsetzt, fährt die Stentorstimme fort: »Und dann brauchen wir eine andere Krawatte für Herrn Direktor. Das Ding spiegelt, als ob Metallfäden drin wären. Jochen bitte.«
Ein Jochen entfernt sich.
Ohne Blick, wie von einer Nackenklammer gehalten,
Weitere Kostenlose Bücher