Ich mach mich mal dünn - Neues aus der Problemzone
Er rollt sich von einem X-Mas-Business-Meeting zum nächsten. »Das ist wie Alltag mit All-inclusive«, behauptet er. Mit seinem Weihnachts-Schweinehund hat er schnell ein Agreement gereacht: Beide geben sich gegenseitig Schützenhilfe bei den immer gleichen Argumenten …
»Man gönnt sich ja sonst nichts.«
»Einmal im Jahr muss ja wohl erlaubt sein.«
»Wird schon gehen.«
»Im Januar mache ich dann Diät. Das hatte ich sowieso vor.«
» Weihnachten hat noch keinem geschadet.«
»Ich tu’s für die Familie.«
»Eine ganze Industrie lebt davon. Die kann ich doch nicht pleitegehen lassen.«
»Nach den Feiertagen ist genug Zeit für ’ne Hungerkur.«
»Bietet das Fitnessstudio nicht im Januar immer wieder die supergünstigen Einsteigerkurse an?«
»Meine Frau (wahlweise ersetzen durch: Mutter, Großmutter, Tante, Schwester oder Schwägerin – gern auch in Kombination) wäre beleidigt, wenn ich nicht zugreife.«
Wer der Form zuliebe auf Schokolade, Lebkuchen und Printen verzichten will, muss in den Weihnachtstagen mit der Höchststrafe aus dem »Das tut der Seele weh«-Strafregister rechnen. Ob im Kollegenkreis, unter Freunden des gepflegten Advents-Mampfens oder in der Familie – wer jetzt allein ist, wird es bis Silvester bleiben. Er wird wieder einmal aus der Gemeinschaft verstoßen (»Wenn du nicht mitfutterst, kannste gleich zu Hause bleiben!«), findet keine neuen Freunde (»Dein Anblick macht uns ein schlechtes Gewissen!«) und bleibt Erpressungs-Opfer (»Kein Nachschlag? Dann ist Tante Käthe aber beleidigt!«).
Nun will ja niemand ausgerechnet in der Kerzen-Kuschel-Zeit Chaos im eigenen Sozialgefüge anrichten. Also wird pragmatisch mitgemacht: »Ein dicker Bauch ist an himmlischen Tagen nun mal Brauch – und macht ja auch Spaß. Süßer die Schwarten nie schwingen.« – Dumm nur, dass Schwarten nicht »schwingen«, sondern krachen. Warum nur passiert das alle Jahre wieder?
Zum einen, weil der Mensch im Grunde ein Herdentier ist. Das vergisst er nur gerne, weil die Herde um ihn herum an elf Monaten im Jahr überwiegend nervt: »Feste Beziehung? – Verschon mich!«; »Familie? – Alptraum!«; »Kollegen? – Feinde! Ich komm auch gut alleine zurecht.«
… trotzdem schlummert tief in uns drin das Bedürfnis, dazuzugehören und nicht einsam zu sein. In Höhlenzeiten wäre Einsamkeit der sichere
Tod gewesen. Und heute stört’s auch ein bisschen. Im Dezember sogar überzeugte Singles.
Studienfreund Klaus hat mir erklärt, dass englische Wissenschaftler für das ungesunde Verhalten vor Weihnachten sogar Fachworte haben. Sinngemäße Übersetzung ihrer Theorien: Wer ein paar Mal im Leben (zum Beispiel in der Kindheit) erfahren hat, dass lecker Kekse-Essen in der Nähe von netten Menschen bei Kerzenschein und Tannenduft ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt, der lernt ganz nebenbei auch noch, dass die Beziehung zu diesen Menschen dadurch enger wird und Verlassenheitsgefühle schwinden. Das tut gut und hat Folgen: Auch wenn die Menschen von damals später alle verschwunden sind, macht das Kekse-Essen bei Kerzenschein immer noch happy. Also: »Her mit dem Gebäck!«
Wer nicht mehr Kekse will, sondern tatsächlich aussteigen aus den alten Fresszwängen, der braucht dafür sozialverträgliche Pläne und muss auch zu unlauteren Mitteln greifen. »Täuschen, tarnen, tricksen«, heißt die Devise:
Zuckerbäcker-Sparer-Trick
Andreas’ Lieblingstrick. Wenn er auserkoren ist, im Büro den Teller zum zweiten Advent zu füllen, heißt es: Mandarinen statt Pralinen. Das ist nicht nur billiger, sondern auch vorbildlich. Tatsächlich stürzen sich die Kollegen wie die Geier auf die Früchte und danken überschwänglich: »Super Idee! Mal was anderes.« Die kleinen Vitaminkugeln gehen weg, als wären sie aus purem Nougat. Doch nicht etwa, weil sie auch so schmecken und Gesundfutter plötzlich Spaß macht, sondern – das verrät eine Kollegin ungeniert – weil man sich damit ein gutes Gewissen eressen kann: »Jippi, dank der Mandarine habe ich den Nikolaus in Ruhe gelassen und kann heute Nachmittag auf dem Weihnachtsmarkt bei den gebrannten Mandeln reinhauen.«
Heimlich picken am kalten Buffett
Bei der Organisation der Weihnachtsfeier hat Sabine diesmal der Oberbetriebsnudel Konkurrenz gemacht. Die sucht nämlich jedes Jahr das Restaurant aus, in dem das Weihnachtsgeld in Kalorien umgesetzt wird, hat sich aber von Sabine überzeugen lassen, dass
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