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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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sollen Goldketten, Designer-Sonnenbrillen und Rolex- Uhrenkaufen.
    Am Ufer ist es sehr laut, besonders in der Nähe des Kinderhauses, einem Kinderspielplatz, wo die Eltern für zehn Euro pro Stunde ihre Kinder lassen können, unter fachkundiger Aufsicht. Die Kinder klettern dort stundenlang irgendwelche Seile hoch und runter, viele sehen aus, als hätte man sie bereits vor Wochen abgegeben.
    Nach drei Stunden am Strand gehen wir zum Swimmingpool, um unseren Kindern das Schwimmen beizubringen. Dort spielen die Engländer Wasser-Polo. Meine Frau hat von diesem Inselvolk die Nase voll und stellt die gewagte These auf, dass die Engländer auf Teneriffa dämlicher als die Deutschen und alle anderen EU-Völker sind. Ich widerspreche ihr. Um achtzehn Uhr scheint noch immer die Sonne, aber wir ziehen uns ins Hotelzimmer zurück, um uns zum Abendessen hübsch zu machen. Nach dem Abendessen gehen alle zur Minidisko, wo die Kinder unter der Führung eines einheimischen Animateurs jeden Abend zu dem Lied »I am a Musicman« tanzen. Der Animateur kann die Kinder in allen EU-Sprachen ansprechen, er hat sogar einige Sätze auf Norwegisch auf Lager. Nur Russisch kann er nicht, deswegen tanzen unsere Kinder immer einen anderen Tanz, aber das merkt keiner. Wenn mehr als dreißig Kinder im Alter von null bis sechzehn Jahren zusammen tanzen, kommt es auf den Rhythmus eh nicht an.
    Um einundzwanzig Uhr ist die Minidisko zu Ende, die Kinder müssen ins Bett. Dann werden die Eltern von derselben Mannschaft animiert. Sie tanzen ein bisschen, spielen »Bingo« und »Wetten, dass«, wobei Freiwillige gesucht werden, die auf allen vieren über die Bühne krabbeln und innerhalb von zwei Minuten zwei Liter Sangria trinken können. Die Zuschauer sollen Wetten abschließen, wer gewinnt. Das ist allerdings schwer vorauszusagen, weil viele Urlauber im Saal so aussehen, als würden sie jeden Tag zu Hause üben. Meine Frau setzt dabei gern auf jüngere, tätowierte Engländer. Sie sind immer gut drauf und würden wahrscheinlich sogar zwei Kilo Hundekacke in zwei Minuten aufessen, um eine Wette zu gewinnen. Einmal hat sie jedoch verloren. Eine kleine schlaue Oma aus Sachsen, die zuerst vom überwiegend englischsprachigen Publikum belächelt wurde, schaffte es locker, gegen sechs junge Männer aus aller Welt zu gewinnen. Spätestens um Mitternacht müssen aber auch die Eltern ins Bett, damit sie rechtzeitig zum morgendlichen Omelett-Bespucken wieder auf der Matte stehen.
    Bei solch strengem Tagesablauf kann sich ein Massentourist nur wenig Eigeninitiative erlauben. Er kann zum Beispiel eine Bildzeitung vom Vortag zum Frühstück mitnehmen, sie als eine Art Schirm gegen die Kinder benutzen und gleichzeitig die neuesten Nachrichten aus Deutschland studieren. Es sieht nicht gut aus: in Berlin minus achtzehn, in Hamburg die niedrigste Temperatur seit fünfundzwanzig Jahren. Meine Frau sammelt derweil weitere Beweise gegen die Engländer und favorisiert die Deutschen, ich suche eher nach Ähnlichkeiten zwischen den beiden Gruppen. Die Deutschen in unserem Hotel können zum Beispiel alle Englisch, die Engländer auch. Beide Nationen gönnen sich schon am frühen Vormittag ein zweites Bier. Beim Abendessen nehmen die Deutschen gerne ein paar Äpfel mit, die Engländer versuchen dagegen gleich eine ganze Ananas in die Hosentasche zu stecken. Am Strand spielen die Engländer Fußball, sie laufen wie die Irren dem Ball hinterher und hauen einander gelegentlich eine runter. Die Deutschen dagegen liegen ruhig auf ihren Luftmatratzen, sie cremen einander sorgfältig ein und lesen viel – dicke Bücher mit goldener Schrift auf dem Cover: Harry Potter und Dieter Bohlen.
    Am dritten Tag treffen wir Verwandtschaft auf Teneriffa. Der Bruder meiner Frau, ein professioneller Kartenspieler, hat gerade in Moskau bei einem internationalen Pokerwettbewerb den ersten und zweiten Preis gewonnen und sich dafür eine Wohnung sowie einen zweiwöchigen Urlaub auf den Kanaren für seine Familie gekauft. Sergej pokert seit zwanzig Jahren auf der ganzen Welt, das Magazin Europapoker hat schon mehrmals über ihn berichtet.
    Wir reden übers Wetter, in Moskau minus fünfundzwanzig Grad und in St. Petersburg die niedrigste Temperatur seit
1941 …
    »Wie kann man bei solchen Temperaturen überhaupt leben?«, frage ich ihn.
    »Na ja, es kommt darauf an«, meint Sergej, »neulich hatte ich zu Kreuzdame, Kreuzneun und Kreuzbube gleich einen Joker gezogen – dann geht’s …«
    Meine Frau

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