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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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erzählt Neues von den Engländern, Sergej von den Russen, die eine klare Mehrheit in seinem Hotel bilden. Jedes Jahr kommen immer mehr unserer Landsleute auf die Kanarischen Inseln. Die Speisekarten in den Restaurants haben bereits eine russische Seite, und jeden Tag hören wir unsere Muttersprache am Strand. Nicht so oft wie in Berlin, aber immerhin. Drei Familien aus der sibirischen Gasstadt Nischnewartowsk strandeten die ganze Zeit direkt neben uns. Die Frauen lagen einfach da, die Männer versuchten, sich mit Bier zu versorgen, tranken aber schon unterwegs alles aus und kamen stets mit leeren Bechern an. Ein Vierjähriger aus Nischnewartowsk spielte mit unseren Kindern.
    »Wie heißt du, Kleiner?«, fragte ihn meine Frau mehrmals. »Wie?«
    Der Junge flüsterte ihr immer wieder seinen Namen ins Ohr. Meine Frau wurde nachdenklich.
    »Und?«, fragte ich sie.
    »Also ich weiß nicht, was ich denken soll. Der Junge heißt Luzifer«, meinte sie. »Er sagt nur ›Luzifer, Luzifer‹, vielleicht ist es eine neue Mode in Sibirien, den Kindern solche Namen zu geben.«
    Am nächsten Tag stellten wir fest, dass Luzifer aus Nischnewartowsk nicht alle Buchstaben richtig ausspricht und in Wirklichkeit Iluscha heißt.
    Die Zeit vergeht auf den Kanaren schnell. Man merkt es gar nicht, schon sind vierzehn Omeletts mit Käse und Schinken verdaut, vierzehn Minidiskos mit »I am a Musicman« abgetanzt und vierzehn Bildzeitungen vom Vortag gelesen. Wir packen unsere Sachen. Am Flughafen strömen uns neue Massentouristen entgegen. Es findet ein kurzer Erfahrungsaustausch statt.
    »Und wie ist das Wetter in Berlin?«
    »Minus dreizehn Grad. Und hier?«
    »Seit zwei Wochen keine Wolken gesehen, nur die Verpflegung war Scheiße. Aber für die nächste Woche ist Regen angesagt!«
    Was kümmert uns das? Wir fliegen nach Hause, die Sommerkleider kommen zurück in den Schrank, die Kinder zum Kindergarten und nie wieder Massentourismus, nie wieder Omelett. Obwohl, so schlimm war es doch gar nicht. Man gewöhnt sich an alles!

Playmobil
    Zuerst war es nur ein kleiner Polizist. Damals, vor sieben Jahren, zogen meine Nachbarn weg, sie schleppten den ganzen Tag schwere Kartons die Treppen herunter und hinterließen allerlei Sachen, für die sie keine Verwendung mehr hatten, in der Hoffnung, dass ein anderer sie vielleicht brauchen könnte. Frau Palast aus dem dritten Stock bekam einen alten Sessel, eine Stehlampe und mehrere Kerzenständer. Ich hatte das plötzliche Gefühl, etwas Wichtiges verpasst zu haben, und nahm einen Playmobil-Polizisten aus der Kiste mit nach Hause, als Andenken an die Nachbarn, die ich kaum gekannt hatte. Damals wusste ich noch nicht, dass diese Figuren sich vermehren können. Der Polizist stand auf dem Fensterbrett in der Küche und beobachtete mich ständig mit seinen Polizeiaugen, die niemals zwinkerten.
    Als ich heiratete und zweifacher Vater wurde, suchten meine Frau und ich nach einer Traumwohnung.
    Wir zogen fünfmal um, bis wir die richtige fanden. In dieser Wohnung gab es für alle und alles Platz: egal, ob für Kleinkinder, die Verstecken spielten, zahme Haustiere oder wilde Verwandte aus Russland, die nur auf dem Boden mit dem Kopf nach Norden schlafen wollten. In unserer Traumwohnung kamen alle auf ihre Kosten. Bis die Playmobil-Invasion kam. Meine Kinder spielten mit dem Polizisten und fragten mich, ob es noch weitere davon gäbe. Also gingen wir zusammen in einen Spielzeugladen, um für ihn einen Bruder beziehungsweise eine Schwester zu kaufen. Seitdem ist unsere Wohnung nicht mehr wiederzuerkennen. Die ursprüngliche Teilung in Arbeits-, Gäste- und Kinderzimmer funktioniert nicht mehr, weil die verschiedenen Playmobil-Serien gleichmäßig über die gesamte Wohnfläche verteilt sind.
    Im Arbeitszimmer zum Beispiel residiert der Königliche Hof; da darf überhaupt keiner mehr rein. Im Kinderzimmer hat sich die Autobahn- und Tierfarm-Serie etabliert. Zurzeit baut meine Tochter in dem so genannten Gästezimmer die neue Serie »Weihnachtskrippe« auf, die sie zu Weihnachten geschenkt bekommen hat. Diese Serie besteht inzwischen aus einem alten Mann, einer Wiege, einem Säugling, einem Esel, drei Schafen, einem Polizisten und einer Krankenschwester. Nicole hat dazu ihre eigene Version des weihnachtlichen Geschehens entwickelt: Sie hält den alten Mann für Gott und einen allein erziehenden Vater, wobei die anderen Figuren ihn unterstützen. Ich persönlich glaube, dass der Polizist und die Krankenschwester

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