Ich mach mir Sorgen, Mama
Freiheit!«
Sie schnaubte noch einmal. »Brüderlichkeit oder so? Und mein Sparschwein sollen sie auch zurückbringen, ich glaube, das heißt Gerechtigkeit, oder?«
Teneriffa
Es geht uns gut in Berlin. Wir haben eine gut funktionierende Heizung zu Hause, viele wunderbare Bücher, die seit Jahren darauf warten, gelesen zu werden. Wir können zu Mittag essen, wann wir wollen, und wenn im Fernsehen abends nichts läuft, können wir immer noch aus dem Fenster auf die Schönhauser Allee gucken – irgendwas ist an unserer Kreuzung immer los. Unsere Kinder haben auch genug Spielzeug und Zeichentrickfilme vorrätig, um durchzuhalten, wenn der Kindergarten für zwei Wochen wegen Weihnachtsferien oder Windpocken schließt. An diese Lebensqualität gewöhnt man sich schnell und schätzt sie nicht mehr. Damit wir sie wieder vermissen können, fliegen wir einmal im Jahr in den Urlaub auf die Kanarischen Inseln. Wenn wir zurückkommen, schwören wir, unsere Wohnung nie wieder zu verlassen. Doch jedes Mal im Winter, wenn es kalt und dunkel wird, fängt das Ganze wieder von vorne an. Die Kinder brauchen Sonne und Wärme, sonst verlieren sie ihren Appetit, sagt meine Frau. Und die Sonne ist um diese Jahreszeit innerhalb der EU nur auf Teneriffa zu haben.
»Aber wir wollten doch nicht mehr am Pauschaltourismus teilnehmen«, erwidere ich. »Nach Teneriffa fahren um die Zeit doch nur Spießer, man verliert in so einer Massenabfertigung alle Freiheiten eines mündigen Bürgers und wird zu einem Trottel mit Videokamera degradiert.«
»Aber die Kinder brauchen nun mal Sonne und Wärme«, fährt meine Frau weiter fort, und schon ein paar Wochen später sitzen wir im Flugzeug und halten unseren Kindern die Papiertüten vor die Nasen. Der Urlaub kann beginnen. Nach sechs Stunden Flug mit einer Zwischenlandung in Düsseldorf und zwei voll gekotzten Tüten landen zweihundert Massentouristen aus Deutschland und wir mittendrin am Flughafen Teneriffa. Genau wie wir haben die meisten Massentouristen auch Kinder, denen in wackligen Räumen schlecht wird, und verlassen die Maschine ebenfalls mit vollen Kotztüten in der Hand. Am Flughafen strömen uns andere Massentouristen aus Deutschland entgegen. Sie sind braun gebrannt und haben ein dämliches Grinsen im Gesicht. Ihr Urlaub ist zu Ende, sie fliegen nach Hause. Schon morgen werden sie ihre Hawaii-Hemden und Pareo-Tücher im Kleiderschrank verstauen, ihre Bräune unter der Dusche abwaschen und wieder zu normalen Bürgern werden. Es findet ein kurzer Informationsaustausch statt:
»Ist in Berlin minus fünfzehn? Stimmt das?«
»In Hamburg war gestern minus zwanzig!«
»Und hier?«
»Alles Banane, dreiundzwanzig Grad.«
Wir gehen los, um zusätzliche Papiertüten für den Bustransfer zum Hotel zu besorgen. Die Reiseleiter versuchen, die Massentouristen zu zählen, ohne sie anzusprechen. Wir begrüßen den Busfahrer, er grüßt nicht zurück. Für die Einheimischen sind wir nur ein Job. Sie müssen uns hin- und herfahren, füttern, Bettwäsche wechseln und rechtzeitig nach Hause schicken. Wie auf einer Geflügelfarm – man grüßt dort auch nicht jedes Huhn persönlich, wenn es nicht gerade eine Biofarm ist.
In unserem Hotel wohnen wenig Deutsche, die Engländer sind eindeutig in der Überzahl. Wahrscheinlich liegt es an der Wirtschaftskrise, die angeblich gerade in Deutschland herrscht; möglich wäre aber auch, dass alle Deutschen sich in diesem Jahr gegen Teneriffa und für Gran Canaria entschieden haben. Die Wahrheit weiß nur TUI. Wir haben ein Zimmer mit Blick auf den Ozean, es ist warm, fette spanische Turteltauben sonnen sich auf unserem Balkon. Wir begrüßen uns: Ola! Ola! Sie zeigen sich zahm und fliegen nicht weg.
Ein normaler Urlaubstag auf Teneriffa besteht aus zwei Mahlzeiten, einmal um neun und einmal um achtzehn Uhr. Zum Frühstück gibt es jeden Tag Omelett mit Käse und Schinken. Die Kinder aus allen EU-Staaten mögen dieses Gericht nicht, besonderes englische Kinder bespucken ihre Eltern mit Omelett, wobei sie nicht treffsicher sind und oft die Eltern aus anderen EU-Staaten treffen, uns zum Beispiel, und dadurch ein schlechtes Engländerbild bei uns erzeugen.
Nach dem Frühstück gehen wir zum Ozean, wo die Wellen zum Baden zu hoch sind und sich die meisten Urlauber nicht ins Wasser trauen. Die Sonne scheint, die Wellen schaukeln hin und her, die Engländer cremen ihre Tattoos ein. Afrikaner mit großen Taschen wandeln am Strand und bedrängen die Massentouristen. Sie
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