Ich mag dich immer noch, wie du bist - Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage: Ich mag dich immer noch, wie du bist
bekannt mache?
Ich habe mich oft gefragt, warum das so ist und bin zu dem Schluss gekommen, dass mein Hirn die Eigennamen von Menschen als vollkommen unerheblich erachtet. Ich kann mich genau daran erinnern, was er anhatte, was er gesagt hat und vielleicht sogar noch an zwei oder drei seiner Gesichtsausdrücke. Ganz offensichtlich ist mein Kopf in dem heiklen Moment des Kennenlernens zu sehr damit beschäftigt, den Menschen einzuscannen, den ich vor mir habe, um sich auch noch damit zu belasten, den Namen abzuspeichern.
Auf dem Treppenaufgang zur Abendschule wimmelt es von Schülern. Hinter einem Stand verteilen zwei Mädchen Flugblätter und Informationsmaterial. Aus den Fenstern des Gebäudes hängen einige Spruchbänder: NEIN ZUR SCHLIESSUNG DER STÄDTISCHEN ABENDSCHULEN – DIE GANDHI-SCHULE IST BESETZT! – BERUFSTÄTIGE ABENDSCHÜLER KÖNNEN SICH KEINE PRIVATSCHULEN LEISTEN!
Ich komme mir ein bisschen verloren vor, aber dann beschließe ich, dass ich mir schon mal ein paar Notizen machen kann, während ich auf Marcomatteoguido, oder wie immer er heißt, warte. Das tun doch echte Journalisten, oder? Ich ziehe also das Notizbuch aus der Tasche, das ich mir extra mitgenommen habe, und schreibe mir die Slogans von den Spruchbändern auf. Dabei fühle ich mich allerdings eher wie ein kleines Mädchen beim Schulausflug als wie eine rasende Reporterin.
»Fängst du etwa schon ohne mich an?«
Ich drehe mich um. Er ist es natürlich.
»Hallo«, sage ich, und wir küssen uns zur Begrüßung auf die Wangen. »Ich war gerade dabei, mir die Slogans zu notieren.«
Er schaut hoch zu den Spruchbändern. Dann holt er eine Digitalkamera aus seinem Rucksack und schießt ein paar Bilder, die er sofort danach auf dem Display überprüft.
»In der Schülerzeitung können wir nur ein Foto bringen, aber die anderen laden wir dann auf die Webseite hoch.«
»Ach so, okay.«
»Ich würde damit anfangen, Stimmen von einigen Leuten hier vor dem Gebäude zu sammeln. Vielleicht stellen wir ihnen ein paar Fragen und schreiben ihre Geschichten auf.«
»Müssen wir das nicht aufnehmen?«
»Nein, das ist nicht notwendig, lass dir einfach erzählen, warum sie zur Abendschule gehen, und wähle möglichst unterschiedliche Leute aus, also Männer und Frauen unterschiedlicher Altersgruppen.«
»Ja, geht in Ordnung, aber was ist mit dir …? Also, soll ich allein losziehen?«
Marcomatteoguido schaut mich an und lächelt. Er wirkt gerührt und ich weiß nicht, ob ich mich deshalb geschmeichelt fühlen oder beleidigt sein soll.
»Geh ruhig«, sagt er. »Ich weiß, dass du meinen Rat nicht brauchst.«
Ich habe keine Ahnung, was ihm da durch den Kopf gegangen ist, aber letzten Endes beschließe ich, mich geschmeichelt zu fühlen und nähere mich meinen ersten Opfern. Bang frage ich mich, ob sie mir antworten oder mich zum Teufel schicken werden, als ich auf die beiden Mädchen am Informationsstand zugehe.
»Entschuldigung, ich komme von der Schülerzeitung des Parini-Gymnasiums, wir schreiben einen Artikel über eure Besetzung der Schule. Darf ich euch ein paar Fragen …«
Die Mädels lassen mich nicht einmal ausreden. Sie schauen einander an, dann wenden sie sich ihren Mitschülern zu.
»Leute, Journalisten!«
In weniger als fünf Sekunden bin ich buchstäblich umringt von den Schulbesetzern. Jeder versucht, mir seine Geschichte zu erzählen, während ich ständig wiederhole: »Entschuldigung, aber ich schreibe nur für eine Schülerzeitung.«
»Das ist egal«, erklärt mir ein Mann um die dreißig. »Die Tageszeitungen interessieren sich nicht mehr für uns, inzwischen ist die Nachricht nicht mehr aktuell, und wir müssen irgendwie auf anderem Wege auf uns aufmerksam machen.«
Innerhalb von einer halben Stunde nehme ich die Geschichten von dreißig Personen auf. Ich schreibe alles in mein Notizbuch, kritzele hektisch etwas in einer Schrift, die ich mit Sicherheit erst nach Stunden mühevoller Kleinarbeit entziffern können werde. Aber das ist mir jetzt egal. Ich spüre, wie ein seltsamer Adrenalinstoß durch meinen Körper geht, all diese Leute, die mit mir reden wollen, lösen unbekannte Gefühle in mir aus.
»Na, wie läuft’s?«, fragt mich der intellektuelle Typ.
»Alles in Ordnung, aber musst du dir denn gar nichts notieren?«
»Nein. Den Artikel schreibst ja du, ich mache nur die Bilder.«
Nun werde ich nervös. Ich habe angenommen, wir würden den Artikel gemeinsam verfassen. Um ehrlich zu sein, ich habe sogar
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