Ich mag dich immer noch, wie du bist - Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage: Ich mag dich immer noch, wie du bist
Alice«, seufzt Mary wie eine verständnisvolle Großmutter.
Martina macht uns aus dem Aufnahmeraum ein Zeichen, dass wir uns die Kopfhörer aufsetzen sollen.
»Du weißt schon, was du jetzt tun musst, Süße, oder?«, fragt mich Mary.
»Was denn?«
In dem Augenblick kommen zwei Typen an uns vorbei. Einer schaut zu Mary hinüber, die den Blick sofort auffängt.
»Dich rächen.«
»Ach, komm schon, Mary, was redest du da?«
»Na, was wohl! Ich meine, dass du ihm klarmachen musst, was Sache ist, du musst ihn ein bisschen schmoren lassen.«
»Mary, er hat mit einer anderen geschlafen! Ich will ihn nicht schmoren lassen. Ich will ihn verlassen! Für mich ist das Ganze gegessen!«
»Nein, halt mal, Alice. Du kannst doch nicht sagen, dass es vorbei ist, wenn du noch nicht mal weißt, was da passiert ist. Also, wer ist die Schlampe denn eigentlich? Wo kommt die auf einmal her?«
»Woher soll ich das wissen? Wir sind uns nicht vorgestellt worden!«
»Ali, ich sage doch bloß, dass du ein wenig herumschnüffeln musst.«
»Ach ja, und wie soll ich das anstellen? Soll ich einen Privatdetektiv anheuern und nach San Francisco schicken?«
»Ach, Süße, es gibt doch Facebook, da findest du alles, was du wissen willst.«
»Du schon wieder mit deinem Facebook.«
»Los, jetzt stell dich nicht so an, du musst nur seine letzten Aktivitäten kontrollieren, die Freunde seiner Freunde, die Foren, bei denen er sich eingeschrieben hat. Ali, mach dir keine Sorgen, ich werde deine persönliche Privatschnüfflerin.«
»Nein, Mary, lass gut sein«, widerspreche ich und bin entschlossen, sie von dieser verrückten Idee abzubringen.
In dem Moment höre ich jedoch Musik in meinen Kopfhörern. Martina beginnt zu singen.
Der erste Titel ist Please, Please, Please, Let Me Get What I Want von den Smiths. Martina hat ihn selbst ausgewählt. Sie meinte, der und kein anderer müsste der erste sein, ich weiß auch nicht, warum.
Martina wiegt beim Singen leicht den Kopf hin und her und legt ab und zu die Hände um den Mikrofonständer. Als würde sie das schon seit tausend Jahren machen, wie eine Profisängerin.
Ich lausche ihr aufgeregt, und als der Refrain beginnt, spüre ich, dass ich eine Gänsehaut bekomme.
Martina, meine beste Freundin, ist eine Sängerin, geht mir durch den Kopf. Und nicht nur, weil sie jetzt hier in einem Aufnahmestudio singt und ein Mikrofon in der Hand hält. Doch da ist noch etwas, das mit ihrer Stimme rüberkommt, etwas, das man nicht erklären kann, aber das es einem unmöglich macht, sich ihr zu entziehen. Ihr Gesang klingt wie ein Gebet, wie ein Flehen, die Intensität, die sie in jedes Wort legt, raubt einem den Atem. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen und schaue mich um, ob es nur mir so geht, aber alle, einschließlich Mary, lauschen mit offenem Mund und ziehen überrascht die Augenbrauen hoch.
Als Martina verstummt, senkt sie den Kopf und bleibt einen Moment lang so stehen. Dann brandet der Beifall auf. Der Typ von vorhin rennt ins Studio und umarmt sie glücklich. Ich recke hinter der Scheibe den Daumen hoch und sie lächelt. Einen Moment lang meine ich, es stünden Tränen in ihren Augen.
Dann folgt eine kurze Pause. Ich möchte am liebsten zu ihr gehen und ihr gratulieren, sie umarmen. Ich bin so stolz auf meine Freundin, so glücklich. Ich setze die Kopfhörer ab und nähere mich der Scheibe, doch da bemerke ich, dass sie im Moment beschäftigt ist. Zwei Leute mit einer Kamera sind bei ihr und stellen ihr ein paar Fragen. Ich drehe mich zu Mary um, die den Kopf schüttelt. »Na ja, jetzt ist sie ein Star. Für uns hat sie dann wohl keine Zeit mehr«, meint sie ironisch. Und irgendwie glaube ich, dass diese Sorge in unseren Köpfen tatsächlich aufkommt.
»Aber jetzt wieder zu uns«, sagt Mary und mustert mich aufmerksam. »Wir waren gerade beim Thema Rache.«
»Mary, ich will mich nicht rächen. Das ist nicht meine Art.«
»Und es ist auch nicht Lucas Art, so etwas zu tun. Süße, das ist keine Rache, so funktioniert nun mal die Liebe, und für dich und deinen Luca gelten dieselben Regeln wie für alle anderen.«
»Kann schon sein … Ich möchte nur im Moment nicht darüber nachdenken, ich will auf andere Gedanken kommen. Im Moment ist echt alles beschissen …«
Ich fühle wieder einen Kloß im Hals, aber es gelingt mir, die Tränen zu unterdrücken. Mary legt mir eine Hand auf die Schulter.
»Alles ist beschissen …«, sage ich noch einmal.
»Ach, Süße, das stimmt doch
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