Ich mag dich immer noch, wie du bist - Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage: Ich mag dich immer noch, wie du bist
Uni?«
»Ich habe es nicht rechtzeitig geschafft.«
»Kannst du irgendwann noch mal hin?«
»Gestern war das Ende der Anmeldefrist.«
»Scheiße.«
Wir bleiben in der Tür stehen und schauen uns an. Ich weiß ja, dass es nicht ihre Schuld ist, aber ich muss zugeben, dass ich sauer auf sie bin. Doch dann denke ich an gestern Abend, an das, was sie mir erzählt hat, und fühle mich schlecht.
»Ich muss jetzt ins Restaurant«, sagt sie.
»Ja, ja, ich komme auch gleich.«
»Hat der Chef dir gesagt, was da heute Abend abläuft?«
»Ja. Also, zumindest glaube ich das … Er hat mir diese Klamotten hier geschickt, in denen ich wie ein Vollidiot aussehe.«
Sie sieht mich an und lächelt. Dann winkt sie mir zu und geht. Ich schließe die Tür und verfluche sie in Gedanken, weil sie, wenn auch unfreiwillig, der Grund für das ganze Chaos ist. Dann beschließe ich, die wenigen verbleibenden Minuten zu nutzen, bevor ich aus dem Haus muss, um noch einmal zu versuchen, eine Mail an Alice zu schreiben.
Liebe Alice,
das Mädchen, das du gesehen hast, arbeitet in dem gleichen Restaurant wie ich. Ich habe sie kennengelernt, als ich sie einmal nachts auf dem Nachhauseweg vor einem Betrunkenen gerettet habe, der handgreiflich geworden ist. An dem Tag, als wir miteinander gesprochen haben, hatte sie in meiner Wohnung übernachtet. Warum? Weil sie mich gefragt hat, ob sie mit hochkommen könnte. Zuerst habe ich gar nichts kapiert, das war wohl ziemlich naiv, ich weiß auch nicht. Jedenfalls hat sie versucht, mich zu küssen und ich habe nicht mitgemacht. Ich habe ihr gesagt, dass ich in festen Händen bin und dass ich meine Freundin liebe. Und so sind wir ins Reden gekommen und sie hat mir ihre Lebensgeschichte erzählt. Eine ziemlich abgedrehte Geschichte. Sie ist vierundzwanzig. Sie hat in Italien gelebt, und als sie mit ihrem Freund zusammenziehen wollte, hat der sie sitzen gelassen und sich stattdessen mit ihrer besten Freundin zusammengetan. Sie war schwanger und hat abgetrieben, und dann wollte sie Schauspielerin werden, hat jemandem vorgesprochen und ein Typ hat gemeint, dass sie bessere Chancen hätte, wenn sie ein wenig nett zu ihm wäre. Zuerst hat sie sich geweigert, aber dann hat sie doch mitgemacht und der Kerl hat sie trotzdem nicht genommen. Da hat sie sich mit jedem angelegt und alle haben ihr gesagt, sie wäre eine blöde Kuh. Daraufhin ist sie ganz allein nach San Francisco gegangen. Und hier hat sie Bekannte gefunden und wieder zu leben begonnen. Und sie spielt Bass in einer kleinen Band, weißt du, die, die den Probenraum unter meiner Wohnung haben. Und all das hat sie mir an dem Abend erzählt. Dann ist sie eingeschlafen und ich habe sie schlafen lassen. Warum sie dann unbedingt bei mir duschen musste, weiß ich nicht, glaub mir bitte.
Ich lese mir die E-Mail noch einmal durch, das, was ich bis jetzt geschrieben habe. Ich lese sie ein, zwei, drei Mal und versuche, mich in Alice hineinzuversetzen. Ich versuche mir vorzustellen, was sie denken könnte, wenn sie diese Zeilen liest. Und schließlich klicke ich nicht auf »Senden«, sondern zunächst auf »Entwurf speichern«.
Als ich kurz danach mit Verspätung ins Lilly Restaurant komme, bemerke ich sofort, dass es ein ganz besonderer Abend sein muss. Obwohl es erst sechs Uhr ist, laufen hier schon ziemlich viele Leute herum. Zwei Männer um die vierzig unterhalten sich angeregt mit meinem Chef. Insgesamt habe ich stark den Eindruck, dass hier die Vorbereitungen zu einer Party laufen.
Als mein Chef mich sieht, winkt er mich zu sich. Ein wenig wackelig auf den Beinen nähere ich mich ihm, zum Teil, weil ich mich so abgehetzt habe, aber auch wegen all der Gedanken, die mir im Kopf herumschwirren: Alice, die Uni, Alice, die Uni, und überhaupt habe ich keine Ahnung, was ich hier eigentlich tue.
»Das ist einer meiner Jungs«, sagt der Chef und betrachtet mich misstrauisch. Ich frage mich, wie sehr man mir ansieht, was in mir vorgeht.
Die beiden Männer mustern mich von Kopf bis Fuß und nicken zufrieden, während ich versuche, ruhig und entspannt zu lächeln. Dann reden sie weiter mit meinem Chef, der mir ein Zeichen macht, ich solle nach oben gehen.
»Nach oben?«, frage ich nach, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich ihn richtig verstanden habe.
»Ja, nach oben, los, mach schon«, sagt er knapp.
Ich war noch nie im oberen Stockwerk. Ich habe immer nur die Tänzerinnen die Wendeltreppe heruntersteigen sehen, die auf der Theke endet, aber ich habe mich
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