Ich mag dich immer noch, wie du bist - Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage: Ich mag dich immer noch, wie du bist
noch mal zur Uni und das mit der Einschreibung geregelt bekommen, aber ich fühle mich hundeelend. Ich steige in den Bus, der zum Bahnhof fährt, und setze mich ganz nach hinten. Durch das Fenster betrachte ich die Stadt, die wieder im Nebel liegt. Der Bus schlängelt sich durch eine kurvenreiche Straße, ehe er in eine große vierspurige Straße einbiegt. Ein paar Frauen, die etwas weiter vorn sitzen, beobachten mich und tuscheln miteinander. Mir ist klar, dass sie über mich reden. Ich bin müde und fühle mich wie betäubt.
Als ich die Augen schließe, formt sich in meinem Kopf ein Bild von einem Penner, der im Bus schläft, sein Kopf ist auf die Lehne des Vordersitzes gesackt. Draußen ist es noch dunkel, aber allmählich wird es heller, der Morgen dämmert. Der Bus hält an und der Fahrer rüttelt den Penner an der Schulter und sagt ihm, dass er aussteigen muss. Der öffnet die Augen und weiß nicht, wo er ist. Er muss an seine Tochter denken, die nichts mehr mit ihm zu tun haben möchte. Der Penner fragt: »Wo bin ich?«
Ich öffne die Augen: Vor mir steht der Busfahrer. Er rüttelt an meiner Schulter.
»Wo sind wir?«, frage ich.
»Sie müssen aussteigen«, sagt der Fahrer bloß.
»Wie, ich muss aussteigen? Wo sind wir?«, frage ich aufgeregt, während der Fahrer mich nicht gerade höflich am Arm packt, um mich zum Verlassen des Busses aufzufordern.
Ich bin am Meer. Beziehungsweise in einem kleinen Städtchen am Meer, mit einer Holzmole und ein paar alten Läden, die aus dem letzten Jahrhundert zu stammen scheinen. Einen kurzen Moment lang denke ich, ich habe eine Halluzination, aber dann erkenne ich, dass alles real ist. Ich bin immer noch in San Francisco. Ein paar Kilometer entfernt ragen die Wolkenkratzer der Skyline aus dem Nebel auf.
Zwei Möwen zanken sich im Flug über mir und sausen wenige Zentimeter über meinem Kopf vorbei.
Okay, ich bin eingeschlafen. Und bis zur Endstation gefahren. Jetzt muss ich bloß bis zum Bahnhof zurückfahren, sage ich mir, und dann den Zug nach Berkeley nehmen und … Das pack ich nicht. Nicht jetzt.
Ich gehe an der Mole entlang, durch den Ort, der nichts anderes ist als die plumpe Kopie eines alten Fischerdorfes. Statt Werkstätten sind in den Häusern Souvenirshops und ein paar Fast-Food-Lokale untergebracht.
Auf einmal steigt eine seltsame Beklemmung in mir hoch. Diese Angst, die jeder kennt, der sich schon mal in einer Stadt, einem Wald oder einfach auf seinem Weg verirrt hat. Ich weiß nicht mehr, wo ich bin und was ich gerade tue, mich erfüllt nur noch die Angst, in ein Labyrinth geraten zu sein, aus dem ich nie mehr herausfinde.
In einer Art Café hole ich mir einen coffee-to-go . Als ich mit dem Pappbecher in der Hand den Laden verlasse, höre ich den Klingelton meines Handys, was in mir spontan Heimweh auslöst. Ich lasse es dreimal klingeln, ehe ich drangehe, als könnte allein dieser Klingelton mich aus dieser Trägheit aufrütteln.
»Was zum Henker treibst du eigentlich?«, fragt mich eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung.
»Hallo, wer spricht da?«, frage ich, weil ich die Stimme des Anrufers nicht erkenne.
»Ich bin’s, Martina, du Vollidiot. Weißt du nicht mal mehr, wer ich bin?«
»Martina, oh mein Gott, wie schön.«
»Bist du jetzt völlig verblödet? Nimmst du Drogen?«
»Nein, nein, entschuldige. Ich bin nur so froh, dich zu hören. Wie geht es dir?«
»Mir geht’s gut, aber du bist ein Vollidiot! Was baust du für einen Mist? Wer ist die Schlampe, mit der du in die Kiste steigst?«
»Aber ich steig doch mit keiner Schlampe in die Kiste!«
»Ja klar, jetzt komm schon, red doch keinen Scheiß. Alice hat mir erzählt, dass sie euch erwischt hat.«
»Ja, schon, aber sie hat doch bloß bei mir übernachtet, das ist eine lange Geschichte, und außerdem war das bloß ein Mal, also …«
»Ach so, ein One-Night-Stand und das war’s?«
»Blödsinn, ich schwör dir, da ist überhaupt nichts passiert!«
»Hör zu, ich fliege gleich nach Los Angeles, dort soll ich ein Video drehen … Ich hab auch einen Flug nach San Francisco gebucht und bleibe zwei Tage bei dir, also sieh zu, dass du da bist, sonst bring ich dich um.«
Als ich die Verbindung beende, fühle ich mich mit einem Mal viel besser, als hätte eine eisige Windbö urplötzlich mein Gehirn von diesem Nebel befreit. Auf einmal komme ich mir dumm vor, weil ich solche Angst hatte und mich von diesem Verlassenheitsgefühl so habe überwältigen lassen.
Jedes Problem
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