Ich mag dich immer noch, wie du bist - Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage: Ich mag dich immer noch, wie du bist
ist lösbar, sage ich mir. Eins nach dem anderen.
Als ich in den Bus steigen will, fällt mir das Schild eines Chinarestaurants auf, das einen großen roten Drachen zeigt. Ich muss kurz an den Junkie denken, den ich in meinen ersten Tagen hier getroffen habe und der mir erzählt hat, an den Küsten von San Francisco würden Drachen leben.
30 Alice
»Du hast mir gar nicht erzählt, wie es mit diesem Journalisten gelaufen ist«, sagt Guido auf dem Nachhauseweg zu mir. Der Jeep fährt langsam die Via Solferino entlang, wo wir Mary und Martina abgesetzt haben.
»Er hat gesagt, dass er einen Artikel schreiben und mich darin zitieren wird«, antworte ich zerstreut. Ich bin nicht ganz bei der Sache, weil ich mich mit allen Kräften bemühe, das Bild von Luca, wie er auf der Theke einer Bar tanzt, irgendwo in den hintersten Winkel meines Kopfes zu verbannen.
»Hm, komm, das ist doch toll. Hör mal, hast du gehört, was Aisha über die Frauen in Marokko erzählt hat? Dabei ist mir eingefallen, wir könnten doch mal einen Artikel über die Situation der muslimischen Mädchen in Mailand schreiben.«
»Super Idee«, sage ich, mehr bringe ich nicht heraus.
»Stimmt etwas nicht?«, fragt er mich jetzt.
»Nein, nein, entschuldige. Im Gegenteil, es war ein netter Abend, ganz im Ernst, ich hab nur am Ende etwas Unangenehmes erfahren.«
»Verdammt, hoffentlich nichts Schlimmes.«
»Nein, nein, nichts Schlimmes … Also, ich meine, es gibt jedenfalls keine Toten oder Verletzten.«
»Aber es geht um einen Unfall?«
»Irgendwie schon, aber es hat nichts mit Autos zu tun.«
Guido lächelt knapp, ohne den Blick von der Straße abzuwenden. Schweigend fahren wir weiter, bis er in meine Straße einbiegt.
»Du weißt ja noch, wo ich wohne«, sage ich überrascht.
»Ich habe eben ein gutes Gedächtnis«, gibt er zurück. Seit meiner Bemerkung über den »Unfall ohne Autos« ist er schweigsam geworden.
»Also, dann danke. Es war ein schöner Abend. Du hast echt krasse Freunde, also, na ja, entschuldige, also nicht krass im Sinne von durchgeknallt, aber das sind schon besondere Leute, Botschafter, Amerikaner, hippe Elitestudenten von der Bocconi. Also, na ja, nicht dass Studenten von der Bocconi an sich seltsam sind, aber …«
»Also, na ja, also …«, zieht er mich lächelnd auf. Verlegen erwidere ich sein Lächeln.
»Ich muss an meinem ›also‹ und ›na ja‹ noch etwas arbeiten.«
»Nein, ich mag das. Und dann sagst du es ja bloß in bestimmten Momenten.«
»Ach ja? Wann denn?«
»Wenn dir zu viel durch den Kopf geht, glaube ich, wenn sich zu viele Gedanken in deinem Kopf streiten. Wie beim ersten Mal, als du zum Schülerzeitungstreffen gekommen bist. Da wolltest du gleichzeitig etwas sagen und den Mund halten, als wärst du zwar neugierig auf das Ganze, würdest uns aber eigentlich alle für Idioten halten.«
»Ach Quatsch, nein …«, widerspreche ich, aber ich muss zugeben, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hat. »Außerdem war das alles deine Schuld. Du hast mir das Wort erteilt. Ich hatte mich ja nicht einmal gemeldet!«
»Ja, ich weiß …«, sagt er und muss plötzlich loslachen.
»Wie bitte, das weißt du?«
»Ich wusste, dass dein Arm nicht oben war, ich habe nur so getan, als würde ich das glauben … weil ich deine Stimme hören wollte.«
Ich lächle, senke verlegen den Blick und bin mir fast sicher, dass ich rot geworden bin. Er hält immer noch das Lenkrad umklammert und starrt vor sich hin.
»Und jetzt?«, fragt er und seine Stimme wird auf einmal leiser.
Und jetzt? Jetzt denke ich, dass ich einen schönen Abend mit einem tollen Menschen verbracht habe, und dass mein Freund vielleicht gar nicht mehr mein Freund ist und dass sich gerade viele Dinge ändern und …
Er dreht sich zu mir.
»Also gut, ich muss jetzt gehen«, sage ich und beuge mich zu ihm rüber, um ihn zum Abschied auf die Wangen zu küssen.
Ich küsse ihn erst auf die eine Wange, dann auf die andere, und schließlich verharre ich in der Nähe der Lippen, nicht nah genug, dass es der Beginn eines echten Kusses sein könnte, aber auch nicht weit genug weg, als dass es nichts weiter zu bedeuten hätte.
»Ich mag dich, Alice«, sagt er leise.
Ich lächle.
»Aber dein Herz scheint nicht mehr frei zu sein«, fährt er fort.
»Das stimmt«, gebe ich zu. »Also, ich meine …«
Er schaut mir weiter in die Augen und lächelt belustigt.
»Vielleicht sollte ich dich jetzt lieber nach Hause gehen lassen«, sagt er und
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