Ich mag dich immer noch, wie du bist - Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage: Ich mag dich immer noch, wie du bist
mehr. Ich bin müde. Ich möchte … Ich möchte so gern, dass da endlich ein Ende in Sicht ist. Es erscheint mir unvorstellbar, dass ich dieses ganze Leben leben soll. Das ist wie bei einem Spiel, bei dem man einen schlechten Start hatte. Ich möchte noch einmal von vorne beginnen, aber das geht nicht, daher …«
Wir wissen beide, wie dieser Satz weitergehen sollte. Aber keiner von uns sagt ein Wort. Instinktiv nehme ich ihre Hand. Sie ist kalt. Ich komme näher. Ihre Augen glänzen.
»Ich möchte am liebsten alles anhalten«, sagt sie kaum hörbar, »aber das geht eben nicht.«
»Warum hast du es dann getan?«
»Was?«
»Warum hast du versucht … Ach, du weißt schon, was.«
»Ich habe nicht versucht, mich umzubringen, wenn du das meinst«, sagt sie in einem ganz ruhigen Tonfall, der so gar nicht zu dieser Erklärung passt.
»Ich wollte einfach mal kurz alles anhalten«, fährt sie fort, »ich wollte eine Pause, ich wollte einen Moment lang aus meinem Leben aussteigen und ja, vielleicht habe ich sogar daran gedacht, als ich die Augen zumachte, dass ich vielleicht am liebsten gar nicht wieder aufwachen und Schluss machen möchte.«
Ihr steigen Tränen in die Augen. Sie schlägt sich eine Hand vors Gesicht und lächelt.
»Ich bin wirklich eine Loserin«, sagt sie noch und kaschiert ihre Tränen mit einem traurigen Lächeln.
»Nein, das bist du nicht«, sage ich und drücke ihre Hand ganz fest, ich habe den starken Wunsch, sie zu beschützen. »Und solange ich noch in der Stadt bin und dich rette, kann dir nichts passieren.«
Dalila sieht mich dankbar an und jetzt scheint sie nicht mehr so traurig zu sein. Da habe ich eine Idee.
»Ich fliege bald nach Mailand zurück. Warum kommst du nicht mit?«
64 Alice
»Alice, was für eine Überraschung! Und, was sagst du, freust du dich?«
Giovanni sitzt an seinem Schreibtisch und schaut mich mit einem Lächeln an, das jeder für aufrichtig halten würde. Jeder, der nicht das weiß, was ich weiß. Aber ein leichtes Flackern in den Augen verrät ihn, und ich bemerke, dass zwei Frauen, ganz offensichtlich seine Kolleginnen, uns anstarren.
»Natürlich freue ich mich, oh ja, und wie ich mich freue, dass du alles, was ich geschrieben habe, total verdreht hast und daraus einen reißerischen Artikel für dein Feature gemacht hast.«
»Nein, warte, ich hatte dir gesagt, dass man daran noch etwas feilen müsste«, entgegnet er so ruhig wie jemand, der nichts zu befürchten hat. »Das hast du doch genau gewusst, das kannst du jetzt nicht abstreiten.«
Nun beobachten uns seine Kolleginnen ganz unverhohlen.
»Wollen wir das, was ich geschrieben habe, und den Artikel, den du veröffentlicht hast, mal vergleichen?«
»Ich verstehe gerade nicht, worauf du hinauswillst. Ich habe dir eine Chance gegeben, und so dankst du es mir? Also wirklich.«
»Welche Chance hast du mir denn gegeben? Erst hast du einen Artikel von mir unter deinem Namen veröffentlicht und beim nächsten Mal erwähnst du zwar meinen Namen, aber schreibst den Artikel so um, dass alle Jugendlichen wie eine Horde perverser, ruhmgeiler Drogensüchtiger rüberkommen. Du weißt ganz genau, was für ein Scheißspiel du mit mir getrieben hast, also verarsch mich jetzt nicht noch!«
Giovanni sieht sich um, als suchte er die Unterstützung seiner Kollegen. Doch alles, was er erntet, ist der verblüffte Blick seiner Schreibtischnachbarin.
»Alles in Ordnung, Giovanni?«, fragt sie ihn.
»Ja, ja«, antwortet er unwirsch.
»Nichts ist in Ordnung«, sage ich. »Du bist bloß ein frustrierter Wichser. Und ich war so blöd und habe dir geglaubt und bin noch zu dir nach Hause gegangen.«
Da nimmt seine Kollegin die Brille ab und starrt ihn ungläubig an. »Habe ich gerade richtig gehört?«, fragt sie ihn.
»Wir haben uns wegen dieses verfluchten Artikels getroffen«, erwidert er immer noch gereizt, was ihn wohl seiner Meinung nach unschuldig erscheinen lässt.
»Ich fass es nicht«, sagt die Frau.
Ich glaube, das reicht jetzt. Daher werfe ich ihm die Zeitung an den Kopf und gehe.
Im Moment habe ich ganz andere Probleme. Was werden die Leute bloß sagen, wenn sie meinen Artikel lesen?
Draußen auf der Straße atme ich erst einmal tief durch. Ich habe das Gefühl, dass mir eine gewaltige Last von den Schultern genommen wurde, ich fühle mich stark. Jetzt muss ich nur noch zum Schülerzeitungstreffen rennen und dort erklären, was passiert ist.
Als ich die Schule fast erreicht habe, klingelt mein Handy.
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