Ich mag dich wie du bist
für mein Sitzenbleiben natürlich. Das mit dem Sitzenbleiben verfolgt mich.)
Sie hat beschlossen, jetzt sei der Moment gekommen, »mal miteinander zu reden«.
Sie erzählt mir, sie seien sehr besorgt gewesen und hätten nicht mehr gewusst, was sie tun sollten. Aber jetzt hätten sie gesehen, dass ich »mit Eifer bei der Sache« sei, deshalb hätten sie sich entschlossen, mir zu vertrauen. Sie sagt noch, Lernen sei der beste Weg, um das nächste Schuljahr mit mehr Ruhe angehen zu können, und sie wisse genau, dass das Sitzenbleiben an sich schon Strafe genug sei und dass ich natürlich auch meinen Spaß haben solle.
»Liebes, natürlich sollst du deinen Spaß haben, ich will doch nicht, dass du nur lernst.«
An dem Punkt kann ich mich nicht mehr zurückhalten.
»Wie soll ich denn hier meinen Spaß haben, Mama?«
Zuerst sieht sie mich beinahe gekränkt an, glaube ich wenigstens. Erst nach einigen Sekunden merke ich, dass es nur der unerwartete Versuch ist, die Tränen zu unterdrücken.
»Ich will doch nur, dass du glücklich bist. Ich will dich nicht so sehen, was passt dir denn hier nicht?«
»Eigentlich sollte das mein erster Sommerurlaub allein sein …«
»Und stattdessen bist du jetzt hier mit uns«, sagt meine Mutter ganz leise, mit Tränen in den Augen.
»Mama, ich will mich ja gar nicht beschweren, ich weiß, ich bin sitzen geblieben, aber …«
Da umarmt sie mich.
»Komm, lass uns gehen«, sagt sie und nimmt mich an der Hand.
Fünf Minuten später sitzen wir an einem Tisch in der Bar des Campingplatzes, jede mit einem Glas Limoncello vor sich.
»Also, ich sehe mal, wie ich dir helfen kann, auch bei Papa, aber zuerst erzählst du mir mal alles von Anfang an.«
»Willst du mich erpressen, Mama?«
»Ja, ich denke schon …«
»Na gut, also, was willst du wissen?«
»Die Sache mit dem Freund, der im Zelt schläft. Und lüg mich nicht an …«
»Mama, das war doch nur blödes Zeug, das ich dem Animateur erzählt habe, ganz im Ernst, ich habe keinen Freund.«
Nun erzähle ich ihr alles, einschließlich meiner kleinen Sommerstory mit dem Animateur im letzten Jahr. Sie hört mir zu, erst mit ernstem Blick, doch dann prustet sie los. Sie scheint gleichzeitig erleichtert und enttäuscht. Erleichtert, weil ich keinen Jungen mit ins Zelt genommen habe, enttäuscht, weil dadurch das große Mutter-Tochter-Gespräch an dieser Stelle schon zu Ende sein könnte.
»Mama«, sage ich daraufhin feierlich und stelle die klassische Frage: »Versprichst du mir, dass du jetzt nicht wütend wirst?«
Ich erzähle ihr von dem Tag, als ich vom Strand verschwunden bin. Sie hört zu, wie ich vom Chiringuito erzähle, von Daniele und Martina, und nippt dabei ständig am Limoncello. Vermutlich fürchtet sie, dass jetzt jeden Moment das Schlimmste kommen könnte.
Dann bestellt sie noch einen.
Wir reden so lange miteinander, wie noch nie in unserem Leben.
Anfangs finde ich es merkwürdig, ich hatte keine Ahnung, was sie dazu sagen würde. Beim dritten Limoncello fängt sie an zu lachen und beim vierten weint sie wieder, aber diesmal sind es andere Tränen. Da ist sie auch schon halb betrunken.
Als wir aufstehen, sieht ihr Gesicht ganz anders aus, so habe ich sie noch nie gesehen: ruhig, entspannt, amüsiert, aber nicht nur das. Sie hat sich gar nicht darüber aufgeregt, dass ich mit Leuten, die sie nicht kennt, an einen anderen Strand gegangen bin, nicht einmal darüber, dass ich ihr nichts von meiner Flucht, dem Frettchen und dem Essen mit dieser Martina erzählt habe. Jeder Muskel in ihrem Gesicht scheint auszudrücken: »Ich habe schon verstanden.« Bei jeder anderen Gelegenheit würde mich das auf die Palme bringen, aber nicht jetzt.
»Hör mal«, sagt sie schließlich. »Ich vertraue dir.«
Ich sehe sie an und warte auf das große Aber.
»Morgen kannst du hierbleiben, ich spreche mit Papa.«
Als wir zum Wohnwagen zurückkommen, spielt Fede mit einem weißhaarigen Mann auf dem Vorplatz Karten. Einen Augenblick lang glaube ich, meinen Großvater dort zu sehen, wie in einem der vergangenen Sommer. Dann merke ich, dass es mein Vater ist und stelle fest, dass sein Kopf viel weißer geworden ist, als ich es in Erinnerung hatte. Auf dem Tisch liegt ein Haufen 5-Cent-Münzen. Sie spielen um Geld.
»Wer gewinnt?«, frage ich, während ich mich zu ihnen setze.
»Ich!«, ruft mein Bruder fröhlich und feuert meinen Vater an, als wären sie auf dem Fußballplatz. Ich verlasse meinen Körper und klettere auf
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