Ich mag dich wie du bist
dem Wasser auf und stützt sich so lässig mit den Unterarmen auf dem Felsen auf, als wäre es der Rand eines Pools.
»Na, liest du uns jetzt diese Horoskope vor?«
Sofort hat Mary wieder ein strahlendes Lächeln im Gesicht und die Zeitschriften in der Hand.
»Also, dann fangen wir mit mir an.«
Sie überfliegt die Seite und murmelt dabei leise vor sich hin. Sie will wissen, was da steht, ehe sie es uns laut vorliest.
»Nein, das ist total schlecht«, sagt sie und schlägt die Zeitschrift zu. »Ich lese ein anderes.«
Daniele prustet los und sieht mich an.
»Wenn Mary ihr eigenes Horoskop nicht passt, liest sie das für ein anderes Sternzeichen.«
»Aber klar! Das ist doch eh egal! Also … Krebs.«
»Ich bin Krebs«, sagt Daniele.
»Ja gut, aber das lese ich jetzt für mich. Also: Venus steht in Ihrem Zeichen, und zwar in aussichtsreicher Konstellation mit Uranus bla bla bla … Die Liebe rückt in den Vordergrund. Eine unverhoffte mitreißende Begegnung könnte Ihre Gewohnheiten vollkommen auf den Kopf stellen und so weiter. … Ignorieren Sie also nicht die Zeichen eines so günstigen Schicksals. Bla bla bla, bla bla bla … das ist supercool!«
Daniele prustet wieder los und diesmal auch ich.
»Komm schon, gib her, jetzt bin ich dran mit Lesen«, sagt er und streckt die Hand aus. »Was ist denn dein Sternzeichen?«
»Ich bin Löwe, das weißt du doch!«, antwortet Mary sofort.
»Natürlich weiß ich das, ich habe ja auch Alice gefragt.«
Ich nenne ihm mein Sternzeichen. Er kommt aus dem Wasser und setzt sich mit überkreuzten Beinen hin.
»Mit diesem komischen Wischmopp auf dem Kopf tropfst du mir die ganze Zeitschrift voll!«
Daniele tut so, als hätte er Marys Vorwurf nicht gehört und fängt an zu lesen.
»Also … der Sommer hat schon vor Längerem begonnen, aber Sie laufen erst jetzt heiß … Es ist Zeit, alles Verlorene nachzuholen und Probleme und Sorgen hinter sich zu lassen … Also, machen Sie sich keine Sorgen, denn …«
»… denn jedes kleine Problem wird in Ordnung kommen«, beende ich seinen Satz und lache geschmeichelt. Denn offensichtlich hat er alles erfunden.
Mary sieht mich an, als wäre ich eine von den X-Men.
»Wie hast du das bloß erraten?«
In dem Augenblick kommt Martina.
»Mein Gott, ist das heiß! Wer geht ins Wasser?«
»Waren wir gerade«, antwortet Mary.
Martinas Blick richtet sich auf mich.
»Ich hab keinen Bikini dabei«, erkläre ich.
»Warum hast du keinen Bikini dabei?«
»Ich hatte nicht vor, an den Strand zu gehen und …«
»In Ordnung, ich kann dir einen leihen, ich hab einen hier im Chiringuito.«
»Ach Quatsch, das ist doch wirklich nicht nötig.«
»Und was willst du machen? Den ganzen Tag so in der Sonne sitzen? Komm, ich leih ihn dir, das ist wirklich kein Problem.«
Sie führt mich zu einer kleinen Holzhütte hinter dem Chiringuito, in der ein paar Liegestühle, Sonnenschirme, ein Tisch und ein Schrank stehen, außerdem befindet sich hier eine Tür mit der Aufschrift »Toilette«. Sie öffnet einen Flügel des Schranks und holt einen Bikini heraus.
»Der müsste dir passen.«
»Bist du sicher, dass es dir nichts ausmacht?«
»Aber nein, kein Problem, ich habe mindestens hundert.«
Das hatte ich mir gedacht.
Ich bleibe wie gelähmt stehen, den Bikini in der Hand.
»Ach ja, dahinten ist die Toilette«, sagte Martina und zeigt auf die Tür.
Ich gehe hinein und ziehe mich so schnell wie möglich um, damit sie nicht warten muss. Zuerst lege ich das Oberteil an, das mir natürlich ein bisschen zu weit ist, aber ich löse das Problem, indem ich die Bänder im Rücken etwas fester binde. Dann ziehe ich den Slip an, der mir genau passt. Selbst der Bikini hat mir auf seine Art klargemacht, dass ich zu wenig Busen und einen dicken Hintern habe.
Dreißig
Federico sagt, die Leute, die auf dem Campingplatz arbeiten, sind alle Vorzeigegefangene. Ich weiß nicht, wo er das aufgeschnappt hat, aber er sagt das immer wieder. Und er lacht sich kaputt darüber. Wir anderen Familienmitglieder haben immer noch nicht herausfinden können, was das bedeuten soll, die verbreitetste Meinung lautet in etwa so: Das Leben auf dem Campingplatz ist ein Leben in Gemeinschaft mit vielen Unbequemlichkeiten, genau wie im Gefängnis. Doch auf dem Campingplatz ist es wesentlich angenehmer als in einer Zelle. Deshalb ist der Campingplatz ein Gefängnis für Vorzeigehäftlinge. Wir haben ihn schon ein paarmal gefragt, ob wir mit dieser Vermutung richtig
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