Ich mag dich wie du bist
an, die in den Reiseführer versunken ist und die Route abgleicht, die sie vorbereitet hat. Ich denke an ihre Vorträge, ihre Ermahnungen, an all die Male, wenn Fede und ich sie hochnehmen und sagen, sie würde sich wie die typische neapolitanische Mamma aufführen, weil sie zu fürsorglich ist. Sie ist dann nie beleidigt und lacht nur darüber. Erst jetzt muss ich darüber nachdenken, dass diese Maske sie zwingt, nicht beleidigt zu sein, und vielleicht ist die Mutterrolle ihre Verkleidung. Eigentlich ist meine Mutter eine Frau wie ich. Ich weiß, wie blöd das jetzt klingt, aber ich denke zum ersten Mal darüber nach. Meine Mutter ist eine Frau, die gerade mal zwanzig Jahre älter ist als ich. Wenn ich mir überlege, wie ich in zwanzig Jahren sein könnte, habe ich keine klare Vorstellung, aber vermutlich werde ich nicht viel anders sein als jetzt, mit den gleichen Gefühlen, Wünschen, Ängsten und Freunden. Vielleicht ist es genau das, was Kindern irgendwann passiert, also, sie nehmen ihre Eltern nicht mehr als Eltern wahr, sondern sehen in ihnen unsichere Menschen wie sich selbst, voller Ängste, nur dass sie jetzt ein paar graue Haare haben und ein wenig Bauch, damit sie sich erinnern, dass sie keine Kinder mehr sind.
Achtunddreißig
Es hat die ganze Nacht geregnet.
Also geht es heute nicht an den Strand. Meine Eltern nutzen die Gelegenheit, um im Dorf einzukaufen. Was genau, wurde uns zwar nicht mitgeteilt, aber eine wesentlich verständnisvollere und wahrscheinlich buddhistisch angehauchte Alice (die kürzlich an den Rändern meines kritischen Verstandes aufgetaucht ist) meint, dass diese Einkäufe in Wirklichkeit nur ein Vorwand sind, um ein wenig allein zu sein und um uns Kindern mal einen freien Tag zu gönnen.
Diese buddhistische Alice ist zweifellos scharfsinnig und intelligent, aber sie ist erst einen Tag hier und geht mir schon gewaltig auf den Keks.
Meine Mutter hat mir erlaubt, den Tag irgendwo draußen zu verbringen beziehungsweise am Strand des Chiringuito, wo sich diese Martina aufhält, die mich angeblich zum Mittagessen zu sich nach Hause eingeladen hat. Ich bin sicher, dass eine kleine Lüge unser Verhältnis nicht beeinträchtigen wird und sie sogar eher beruhigt. Ich versichere ihr, dass ich um vier Uhr zu Hause sein werde, um zu lernen, und sie nickt mit diesem skeptischen Mutterblick und antwortet: »Geh nur, geh …«
Kurz vor zwölf bin ich beim Chiringuito. Der Himmel ist bedeckt. Am Strand sehe ich nur ein paar ausländische Jugendliche, und an den Tischen sitzt niemand. Ich gehe zum Tresen, aber auch der ist unbesetzt. Also drehe ich eine Runde, aber sofort erregen einige Stimmen meine Aufmerksamkeit. Sie kommen von der Hütte, zu der mich Martina gebracht hat, als sie mir den Bikini geliehen hat.
Aber sie kommen nicht aus dem Innern. Anscheinend stehen zwei Personen vor der Tür und streiten.
»Ich komme nicht nach Hause zurück, also geh, ich habe dir nichts zu sagen.«
»Ich weiß wirklich nicht, warum du dich so anstellst.«
»Wenn dieses Arschloch nicht geht, komme ich nicht nach Hause. Setz den Wichser vor die Tür, dann komme ich zurück.«
»Hör mal, Martina, ich bin nicht gekommen, um dich zu bitten …«
»Sehr gut, dann geh gleich wieder.«
»Du kannst nicht bestimmen, wer sich in meinem Haus aufhält oder nicht.«
»Pass auf, Mama. Ihr könnt mich mal, du und dein Kokser. Lass mich in Ruhe.«
»Ich erlaube dir nicht, so mit mir zu reden.«
»Oh Mann, du bist echt lächerlich.«
Plötzlich ertönt eine Stimme aus dem Chiringuito und ruft laut nach Martina.
Man hört Schritte, sie kommen von hinter der Hütte und mir wird klar, dass man mich innerhalb von ein paar Sekunden beim Lauschen ertappen wird. Deshalb laufe ich nicht weg, sondern gehe auf sie zu, als wäre ich gerade gekommen und hätte sie gesucht. Das Ergebnis: Ich treffe auf Martina und ihre Mutter, die ihr folgt und sie am Arm festhält.
»Ups, Entschuldigung«, sage ich an beide gewandt. »Hallo, ich habe dich gesucht.«
Martina sagt nichts, während ihre Mutter lächelt.
»Willst du mir deine Freundin nicht vorstellen?«
Martina wirft ihrer Mutter einen verächtlichen Blick zu, aber die tut so, als würde sie nichts merken.
»Hallo«, sagt sie zu mir und klingt stinksauer. »Das ist meine Mutter. Und das ist Alice.«
»Hallo, Alice.«
Es folgen einige Sekunden betretenes Schweigen.
»Also, können wir gehen?«, fragt Martina.
»Entschuldige bitte, Alice«, sagt ihre Mutter und
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