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Ich mag dich wie du bist

Ich mag dich wie du bist

Titel: Ich mag dich wie du bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Gungui
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Strandausrüstung geräumt wurde. Unser Ziel: das Landesinnere. Meine Mutter hat den Reiseführer über das Salento gewälzt und eine Route festgelegt.
    Mein Bruder hat die Kopfhörer aufgesetzt. Für ihn wird dies ein ganz normaler Tag sein. Ich muss immer noch an den Abend mit Martina denken und an diese SMS. Wenn sie von ihr ist, wäre das ein klares Freundschaftssignal, nach dem Motto: Jetzt, wo wir uns kennengelernt haben, sind wir Freundinnen geworden, also sage ich dir Bescheid, wenn eine Party stattfindet. Ist die SMS allerdings von Daniele, würde das so viel beinhalten, dass ich im Moment lieber gar nicht darüber nachdenken möchte.
    Erster Halt: die Kirche von irgendeinem Heiligen.
    Keiner meiner Eltern ist praktizierender Katholik und ich bin nicht einmal zur Kommunion gegangen, aber ich bin von meiner Großmutter in der Badewanne getauft worden (das erzählt sie jedenfalls). Wir besuchen die Kirche daher nur als Touristen und Kunstinteressierte. Beim Betreten der Kirche bekreuzigt sich keiner von uns, wir staunen alle darüber, wie kühl es hier drinnen und wie hoch doch das Kirchenschiff ist, dann machen wir einen Rundgang, um uns die Fresken und die Gemälde anzusehen.
    »Warum sieht Jesus nur so stinksauer aus?«
    »Federico, wir sind hier in einer Kirche!«
    Fede bleibt vor einem Bild stehen, das Jesu Kreuzigung darstellt, das erkenne sogar ich.
    »Ja, schon klar, trotzdem sieht er stinksauer aus.«
    In diesem Moment kommt ein alter Mann vorbei, der am Stock geht, der typische alte, runzelige Süditaliener.
    »Na, ich möchte dich mal sehen, mit zwei Nägeln in den Händen!«, ruft er verärgert aus.
    Eine alte Frau, wahrscheinlich seine Ehefrau, zieht ihn am Arm und schleppt ihn zum Beichtstuhl, wie einen Betrunkenen, den man unter eine kalte Dusche stellen will.
    »Entschuldigen Sie, er ist einfach nicht glücklich, wenn er sich nicht einmischen kann.«
    »Nein, Sie müssen entschuldigen, Signora, daran ist nur mein Sohn schuld.«
    »Und warum? Was hat er getan?«
    Meine Mutter hatte eigentlich nicht vorgehabt, weitere Erklärungen zu geben, aber die alte Frau starrt sie mit ihren riesigen kurzsichtigen Augen erwartungsvoll an.
    »Mein Bruder sagt, Jesus sieht auf diesem Bild sehr traurig aus.«
    Die Frau dreht sich zu mir um, dann beugt sie sich ein wenig vor und zieht die Schultern dazu hoch, als wollte sie mir ein Geheimnis anvertrauen.
    »Dieser Jesus hat Wunderkräfte.«
    Mein Bruder spitzt die Ohren. Volltreffer! Er spielt den Coolen, aber wenn es um Magie geht, verwandelt er sich sofort in Harry Potter.
    »Mit seinem Gesicht drückt er aus, was euer Herz bewegt. Er ist wie ein Spiegel, aber er zeigt nicht das, was man außen sieht, sondern euer Inneres, die Wahrheit.«
    Die Worte der alten Frau rufen in mir etwas wach, was ich in diesem Jahr gelesen habe, aber ich erinnere mich weder an den Titel noch an den Autor.
    Wir fahren über von Olivenbäumen gesäumte Landstraßen. Ich sehe mir durch das Seitenfenster die Landschaft an, als würde ich abwesend auf einen Fernseher starren.
    Ich muss an das Gemälde von Jesus denken und an das, was die alte Frau dazu gesagt hat. Auf mich hat Jesus nur traurig gewirkt, auch ein bisschen sauer, ja, ein kleines bisschen schon. Ich frage mich, was meine Eltern in seinem Gesicht gesehen haben. Pirandello! Das war’s! Es hat was mit Pirandello zu tun! Und auch irgendwie mit Oscar Wilde, aber ich weiß nicht genau, warum. Schließlich bin ich ja sitzen geblieben, oder? Da habt ihr’s.
    Ich erinnere mich aber daran, dass wir im Unterricht darüber gesprochen haben und dass dabei irgendetwas über Masken herausgekommen ist. Und dass ich den Rest der Stunde damit verbracht habe, mir etwas über meine Schulkameraden zusammenzuspinnen und zu versuchen, hinter ihren Pickeln die persönlichen Probleme, ihre Ängste und alles Übrige zu entdecken. An meine Eltern hatte ich damals nicht gedacht. Aber jetzt wird mir bewusst, dass auch sie eine Maske tragen.
    Mein Vater. Er ist ein Brummbär, nicht besonders gesprächig und man weiß nie, wann er zufrieden ist. Aber wenn ich nun bei dieser billigen Westentaschenpsychologie bleiben will, dass jeder eine Maske trägt, dann muss ich berücksichtigen, dass er auch ein Mann ist, der seine Arbeit hat, seine Sorgen und seine Gedanken und vielleicht auch heimliche Wünsche. Vielleicht schreibt er ja ein Buch, oder er denkt darüber nach, in die Berge zu ziehen, sobald Fede und ich groß genug sind.
    Ich sehe meine Mutter

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